Schadet Nachdenken der Lust am Spielen?

Als Kommentar zu einem älteren Artikel zum Thema „Demütigung im BDSM“ schrieb mir Anna:

„Im Übrigen ist doch beim BDSM alles ein Spiel, also kann die Demütigung, die erlebt und genossen wird, doch nie eine wirkliche Demütigung sein. Das ist uns allen doch aber auch klar! Wir brauchen nur eine Definition, weil Menschen nun einmal Definitionsfetischisten sind. Man weiß, dass eigentlich alles nicht so ganz real ist, aber man spielt weiter, weil die Illusion, es sei real, so schön ist. Damit ist man dann glücklich.
Aber dann ist doch alles in Ordnung! Pass doch bitte ein bisschen auf, dass du vor lauter Kritik und “Das ist eigentlich alles gar nicht so, wie es scheint” nicht die Lust am Spielen verlierst, das kann nämlich sehr leicht geschehen…“

Dieses Argument, das eigentlich eine Sorge ist, höre ich öfter. Es hat mehrere Dimensionen, ich beginne mal mit dem Satz „aber man spielt weiter, weil die Illusion, es sei real, so schön ist.“

Aus meiner Sicht ist es nicht „schön“, sondern allenfalls geil, auf Dominanz, Unterwerfung, Demütigung und ähnliche SM-Kinks zu stehen. Allein dieser Geilheit, diesem zeitweise heftigen erotischen Verlangen zu Liebe macht man sich überhaupt erst ans „Ausleben“. Man erlebt dann den eigenen Emotionskörper in Aktion, weiß meist recht genau, ob etwas entsprechend den feuchten Träumen funktioniert oder „in real“ doch eher enttäuscht. Es fehlt aber eine verständliche Erklärung für das paradox-verkehrte Fühlen, das man sich per BDSM zumutet. Häusliche Gewalt findet niemand gut, genauso wenig wie Demütigungen im Alltag – und diese WERTE bleiben in aller Regel bestehen, auch wenn man SMler wird und all das „im Spiel-Kontext“ genießt.

Nun gibt es Menschen, die nehmen die Dinge eben hin, wie sie sind, und stellen keine weiteren Fragen. „Ich bin halt so“ ist ihnen Erklärung genug und jegliches Hinterfragen sehen sie tendenziell als Angriff, als Ablehnung ihrer Andersartigkeit und ihr Beharren als Revolte gegen einen Mainstream, der alles negiert, was nicht der Norm entspricht.

Da sie hochwahrscheinlich nicht zur Leserschaft dieses Blogs gehören, brauche ich hier nicht weiter zu spekulieren, was sie bewegt. Mir ist es immer schon wichtig gewesen, fürs eigene Gefühl eine integre Persönlichkeit zu sein: das heißt, mein Denken muss meinem Handeln entsprechen und umgekehrt.

Handeln und Denken sollen eins sein –
auch zum Preis des Verzichts

Das ist auch der Grund, warum ich in jungen Jahren nicht im Traum daran dachte, meine Fantasien real auszuleben. Es war für mich undenkbar, mich einem Mann „zu unterwerfen“, denn meine Beziehungen waren damals immer auch Machtkämpfe: ich erlebte meine Männer als Möchte-gern-Mächtigere, die mich einschränken und gängeln, sowie nach Belieben sexuell zur Verfügung haben wollten. Das war nur zu Teilen wahr, zu Teilen eine recht verzerrte Sicht der Dinge. Es mangelte mir noch an persönlichen Selbstbewusstsein, an wirklicher geistiger Unabhängigkeit vom jeweils Meistgeliebten – ich konnte ja kaum einen Dissens in irgend einer Alltags- oder gar politischen Frage ertragen!

Hinzu kam der durch die Frauenbewegung drastisch kämpferische Zeitgeist, der das „Feindbild Mann“ pflegte. Ich denke noch heute, dass der damals neu aufgebrochene „Geschlechterkampf“ gesellschaftspolitisch Not-wendig war, um die alten Traditionen wirklich zu zerschlagen (sowas geht nie ohne schmerzlichen Zoff!), doch sehe ich auch die Verletzungen und Unfreiheiten, die das in vielen Beziehungen mit sich gebracht hat. Aber das nur nebenbei, damals war für mich klar: Frau unterwirft sich doch nicht dem Feind! (Mehr Autobio steht hier).

Paradoxe Umkehrung der Werte

Es wundert also nicht, dass ich mich nicht einfach gelassen damit abfinde, etwas „abgründige“ Sehnsüchte zu haben, die meinem sonstigen Wertesystem nicht entsprechen. Es braucht eine INTEGRATION von Tun und Denken, die allerdings nicht durch GRÜBELN zu erlangen ist.

„Pass doch bitte ein bisschen auf, dass du vor lauter Kritik und “Das ist eigentlich alles gar nicht so, wie es scheint” nicht die Lust am Spielen verlierst, das kann nämlich sehr leicht geschehen…”

Auch wieder ein interessanter Satz! Klingt, als sei es ein oberster Wert, die „Lust am Spielen“ auf jeden Fall zu behalten. Und meint, durch bloßes Kritisieren könne sich ein Verlangen ändern – dem ist aus meiner Erfahrung NICHT so.

Für mich ergab sich aus der Diskrepanz der „normalen“ Werte und den im SM ersehnten Inszenierungen ein großes Interesse, mich selbst in all diesen Situationen zu beobachten. Das war mir durch Yoga sowieso vertraut, also keine neue „Disziplin“. Es bedeutet, einfach hinzuschauen und zu bemerken, was abgeht: in der Psyche, im Geist, im Körper (und insbesondere auch zwischenmenschlich, in der Session-Kommunikation). Dabei stellt sich dann im Lauf der Zeit immer klarer heraus, was es jeweils ist, was kickt – und was dazu gehört an eigenen inneren Haltungen bzw. Voraussetzungen, dass das auch so klappt.

Mit diesem Erkennen geht tatsächlich oftmals eine Veränderung einher – als hätte man den Schlüssel gefunden und könne nun den Raum einfach öffnen, an dessen Tür man sich vorher mutwillig und nicht-wissend-warum immer wieder den Kopf angehauen hat. Wenn dem dann so ist und dabei ein früher ersehnter Kick verschwindet, ist da kein Bedauern! Denn dem gegenüber steht ein großer Gewinn an Selbsterkenntnis, an Kompetenz und vergrößterter Freiheit, das je eigene Verhalten zu WÄHLEN.

Was mich vor drei Jahren unsäglich reizte (z.B. forciertes Grenzwandern per vermeintlicher Machtlosigkeit), kann ich nun allerdings nicht mehr wählen, da die entsprechenden Knoten in der Psyche einfach nicht mehr existieren. Äußerlich ähnliche Sessions kommen zwar noch gelegentlich vor, aber ich erlebe sie nicht mehr SO.

Und das finde ich gut so.

***
Das könnte dich auch interessieren:

Dominanz und Unterwerfung: Vom Nutzen konsensueller Hierarchie (eine „Verarbeitung“ meiner persönlichen Erfahrung mit dem Phänomen „DS-Beziehung“. Die ich heute so nicht mehr brauche.)

5 Kommentare

  1. Hallo Clu,

    zwar ist BDSM für mich kein Spiel aber ich will dir an dieser Stelle ein großes Kompliment aussprechen. Es gibt nur wenige Seiten im Netz die so interessant zu lesen sind wie diese. Ich hoffe bald wieder mehr von dir lesen zu dürfen, auch wenn ich wohl nicht immer mit deiner Meinung konform gehe.

    Liebe Grüße

    Gladius

  2. @Gladius: denke fürs Lob, doch kann ich diese Bemerkung „BDSM ist für mich kein Spiel“ echt nicht mehr hören! Damit grenzen sich in aller Regel die vermeintlich „echten, wahren“ BDSMler gegen Andere ab, denen sie echte Gefühle, reale Dominanz und Submissivität absprechen bzw. die sie als reine „Rollenspieler“ bezeichnen.
    Hättest du wirklich mehr in diesem Blog gelesen, wüsstest du es besser.

  3. Hallo Clu,

    auch wenn ich nun provoziere. Aber ich sehe BDSM ebenfalls nicht als „Spiel“. Ich bin allerdings der Meinung das jeder seinen eigenen Umgang damit finden muss. Meine Art zu Handlungen, etc. in mein Leben ein zu bauen geht weit in mein Leben hinein, und endet nicht beim Bett. Ich wollte aber nun hier keine öffentliche Diskussion diesbezüglich auslösen. Ich wollte viel eher sagen das ich Dir recht gebe, das Dinge die man wahrhaftig erkennt sehr viel von ihrem Reiz verlieren.

    Liebe Grüsse

    daira{M}

  4. Und wer sagt dir, dass die, die den Begriff *spielen* benutzen, BDSM beim Bett enden lassen, Daria? Das existiert doch nur in deinem Kopf und hat mit dem, was Clu beschreibt, nichts zu tun.
    Ja, Gor-Anhänger wollen sich vom Spielen rigoros abgrenzen.
    Ist ja alles so echt, was sie leben, ganz und gar kein Spiel.
    Mit Verlaub, ich schließe mich mal Clu an, ich kann es nicht mehr hören/lesen.

    Clu,
    ich habe deinen Blog nun auch im öffentlichen Bereich in meinem DS Forum verlinkt, er fand da schon des Öfteren großen Anklang.
    Aus meinen Augen ist er fast schon ein „Muss“ für jeden Einsteiger, aber auch für alte Hasen. Ich finde deinen Blog und auch hier deine Gedanken zum Thema großartig, und wie immer sehr reflektierend.

  5. Es sind immer Motive hinter Neigungen. Neigungen kommen nicht aus dem heiteren Himmel, sie haben immer mit einem selbst bzw. mit den Besonderheiten des Egos zu tun.

    Was mich zum Nachdenken bringt, ist, daß diese verborgenen Motive nicht aus der Energie des Sex an sich stammen, sondern aus Ängsten, Unsicherheiten, Blockaden… Gurdjieff schrieb z.B. über das Funktionieren des Geschlechtszentrums mit eigener Energie. Das kommt nur selten vor, weil moralische Kodierungen und Grundsätze allzu oft wirksam sind. Das Geschlechtszentrum funktioniert dann mit aus sich heraus, sondern mir der Energie anderer Zentren. Das Ego erlaubt es nicht, daß es ganz erlebt wird… die Energie wird brüchig, ziellos, irreführend, hungrig wie ein schwarzes Loch.

    Es ist wichtig, die Schattenseiten nicht zu verdrängen. Erleben ist notwendig — man kann nicht im Kopf, Abhängigkeiten lösen. Aber für mich gilt es vor allem, die Blockaden zu erkennen — auch unter dem Risiko, etwas zu verlieren. Ich will hinter den Kulissen blicken, nach dem Sinn suchen, anstatt die Neigungen einfach nur blind zu durchleben. Irgendwann kommt also der Moment des Loslassen. Loslassen ist immer wichtig und notwendig, um etwas erkennen zu dürfen. Das geht aber nur, wenn Wahrheit wichtiger als Wohlgefallen ist.

    Anscheinend wollen die meisten über ihre Neigungen nicht viel wissen. Sie haben Angst, die Kicks zu opfern. Wie furchtbar, wenn auf einmal „Nichts“ da wäre. Aber genau das ist wichtig, um Erwachsen zu werden.

    Clu, bei Dir sehe ich viel Mut und eine echte Suche nach Selbsterkenntnis.

    Ich kenne mich mit BDSM nicht aus, sehe aber auf jedem Fall, das Macht in Verbindung mit Sex bei mir „Kicks“ bereitet. Ich bin hier noch beim Antasten. Eine Intuition habe ich aber: Domination/Unterwerfung kann heftige Emotionen auslösen und aus einem tiefen Verlangen kommen, ist aber „sicherer“ als die Begegnung zweier freier Menschen. Wer wirklich Mut hat, läßt das irgendwann los und öffnet sich ohne Vorlieben zu dem, was ist.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.