Sich wandelnde Motive zur „Lust am Schmerz“

Immer wieder wundern sich Neulinge, dass es sich mit der „Lust am Schmerz“ im BDSM nicht ganz so einfach verhält. Tatsächlich sind diejenigen eine winzige Minderheit, für die Schmerz an sich lustvoll ist – also auch die Emfpindungen bei einem kleinen Unfall, einem Schnitt in die Hand oder dergleichen.

Recht viele SM-Praktizierende können jedoch moderate Schmerzen (hauen, kneifen, beißen etc.) im Rahmen sexueller Erregung in Lust verwandeln – allerdings nur bis zu einem bestimmten Intensitätslevel: dann bricht die sexuelle Lust weg. Diese softe Variante nenne ich Sex-SM: beileibe nicht als Abwertung (wir sind schließlich nicht auf der Maso-Olympiade!), sondern um eine Unterscheidung zu haben, wenn ich drüber rede und schreibe.

Die Luststeigerung mittels Schmerzreizen ist uralt und wird nicht erst praktiziert, seit es eine SM-Szene gibt: schon im Kamasutra der alten Inder stehen exakte Anweisung zur Platzierung der „Liebesbisse“ auf den Brüsten der Geliebten.

Schmerz, der wirklich weh tut

Geht man weiter, hin zu einer Schmerzintensität, die nicht mehr über die sexuelle Erregung „verwandelt“ werden kann, kann es mit dem „Genuss“ denoch psychophysischer Ebene weiter gehen: Nämlich über die massive Ausschüttung körpereigener Drogen wie Endorphin, Adrenalin und anderer Stöffchen, die einen Rausch erzeugen, den ich mittlerweile genauso in den Detailwirkungen wahrnehmen kann wie andere, fremdstoffliche Räusche. Typisch ist z.B. die Ausgelassenheit/Albernheit, ab einer gewissen Dosis dann der chemisch induzierte Drang zu weinen, ganz ohne dass die laufende Interaktion dazu einen Anlass gegeben hätte. Manchmal meldet sich auch der Magen – zum Glück nie wirklich störend, wenn man nicht kurz vorher schwer gegessen hat.

Warum macht man sowas?

Um den beschriebenen Rausch zu erleben, muss man erst einmal dahin kommen, sich überhaupt eine gesteigerte Intensität im Reich der schmerzlichen Behandlungen zumuten zu wollen (bzw. sich einem entsprechenden Top auszuliefern). Dafür gibt es unterschiedliche Motive, wobei ich natürlich die eigenen am besten kenne. Diese haben sich zudem im Lauf einiger Jahre weitgehend aufgeklärt: da ist kein diffuses, ambivalentes „wollen was ich eigentlich nicht will“ mehr, das einst das zentrale Element meiner DS/SM-Erlebnisse war.

Das Erleben in der Praxis hat die Neigung mittlerweile verändert, so dass ich in der Rückschau recht klar sehe, um was es sich gehandelt hat:

  1. Zu allererst um das Ausexperimentieren einer Angst vor Kontrollverlust: allein DAZU ist all das Kopfkino rund um „Doms Macht“ und die (heftig erwünschte) eigene Ausgeliefertheit an diesselbe da gewesen. Allein DAS war es, was mich „Grenzwanderungen“ heftig ersehnen ließ: ich wollte Situationen erleben, die ich nicht „im Griff“ habe (zumindest als perfekte Illusion), um mich da selbst zu erfahren: was passiert da? Wie bestehe ich diese Situation? Was geschieht mit mir? Etc. usw.
  2. Zweitens der „sportliche“ Aspekt: in meinem zivislisiert-wattierten Leben kommt nichts vor, was mich überfordern könnte. Also breche ich heftige Sessions vom Zaun, um mich gefordert zu fühlen bis an die Kante. Und hinterher genieße ich die glückliche Erschöpfung und totale Entspannung, die ich durch normales „sporteln“ nie im Leben erreiche.

Das Motiv „Kontrollverlust-Spiel“ ist für mich mittlerweile durch: zwar kann ich körperlich noch zittern, wenn ich in eine ungewohnte, fordernde Stellung gefesselt werde, doch psychisch fühl ich mich dabei so sicher wie in Abrahams Schoß. Es gibt keine Illusion der Machtlosigkeit mehr, denn ich weiß, dass ich die Dinge stoppen kann, wenns sein muss – und dass das SCHON IMMER SO WAR, mit JEDEM Partner und ganz egal, was für Vereinbarungen da offiziell zwischen uns existierten (wer’s nicht glauben mag: „ich brauch einen Arzt!“ hilft immer).

Ich denke, dass die Illusion, dem sei nicht so, genau so lange nötig war, wie ich nicht um mich selber Bescheid wusste: früher war ich darüber im Zweifel, ob und wann ich überhaupt jemals ums Ende bitten würde, bzw. überhaupt zeigen, wie ich mich fühle. Heute herrscht da große Klarheit und Transparenz – eine Machtlosigkeitsillusion ist unnötig geworden.

SCHMERZ ist bei alledem ein Mittel, ein Werkzeug – „Schmerz an sich“ war und ist für mich durchweg nur störend und unangenehm, genau wie bei Nicht-SMlern. Allerdings hat sich durch die „Spielerfahrungen“ meine Fähigkeit, Schmerzen zu neutralisieren und mir durch ihn die Stimmung nicht verderben zu lassen, deutlich verbessert. Und das kann ja nicht schaden, wer weiß, was im Leben noch so alles kommt!

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5 Kommentare

  1. > Allerdings hat sich durch die “Spielerfahrungen” meine Fähigkeit, Schmerzen zu neutralisieren und mir durch ihn die Stimmung nicht verderben zu lassen, deutlich verbessert.

    ja, und es gibt auch viele andere Praktiken, zum Beispiel aus Yoga, Schmerzempfindung zu dämpfen und dann kann ein Sub, wenn er/sie dass kennt, einfach in sich selbst flüchten oder es passiert gegen seinen Willen und damit wird das Ziel (Katarsis) gar nicht möglich zu erreichen oder braucht stärkere Mittel, die zu stärkerem Verletzungen oder bleibenden Schaden führen können?

  2. Neulich hab ich ein Mittel gegen Migräne „erfunden“ – die Hände eine Weile unter relativ (erträglich) heissem Wasser zu halten und den Kopfschmerz mental „in die Hände fliessen lassen und dann mit Wasser weiter“. Hilft besser als Pillen. Aber da ich dafür eine genügende Wassertemperatur brauchte, habe ich bemerkt, wie schnell man sich daran gewöhnt. Und besonders wenn Angst fehlt, wächst die Schmerzgrenze schnell.

  3. Aus meiner Sicht kann Kathasis kein ZIEL sein, sondern ERGIBT sich bei entsprechender Einstellung und Verfassung des Sub aus dem aufgebauten Widerstand: irgendwann reicht die Energie / Kraft nicht mehr, diesen aufrecht zu erhalten.

    Einen „in sich versunkenen“ Sub aus dieser Haltung heraus zu holen, ist m.R. eine Aufgabe, die gerade NICHT mittels großartiger Steigerungen der Reize anzustreben ist, sondern eher durch ABWECHSLUNG in den Reizen und auch in den Forderungen! Also statt „gefesselt ertragen“ mal „ungefesselt gehorchen müssen“, verbale Ansprache/Fragen an Sub etc. – und wenn alles nichts hilft ein ernstes Gespräch außerhalb der Session, das ihm klar macht, dass in den Reaktionen die Lust von Top liegt. Er also nichts Gutes tut, wenn er nur nach innen driftet… (ich hatte einen solchen Sub, erst letzteres hat geholfen: er sah es ein und hat dann „geübt“, etwas mehr los- und raus zu lassen)

    Je erschöpfter, desto leichter geht das – und Erschöpfung ist sogar völlig schmerzfrei erreichbar. Etwa, indem man Sub in der Intro-Phase ein wenig zu sportlichen Übungen anhält… da können sich reizvolle Trainer/innen-Spiele ergeben.

  4. Pingback: BDSM als Therapie? » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

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