Leiden ist aktives Tun

Blinde SeherinWas ich in einer Session erlebe, hängt nicht allein davon ab, wie Top mich „behandelt“, sondern auch davon, wieviel Energie ich ins Geschehen mitbringe. Gefühle und Empfindungen verändern sich, wenn Sub müde und erschöpft ist, oder – und das ist das Spannende – sie kommen gar nicht erst auf!

Jedem ist unmittelbar nachvollziehbar, dass man Energie aufwenden muss, um z.B. ein Gewicht zu heben. Dass es aber auch Kraft kostet, sich zu erregen, zu ärgern, sich gedemütigt zu fühlen, genervt zu sein, geil oder wütend zu werden, fällt üblicherweise nicht so ins Auge, denn wir gehen in diesen Gefühlen ja meist ganz auf, sind voll mit ihnen identifiziert.

Diese Identifikation lockert sich gewaltig, wenn ich bemerke, dass ich den Gefühlen nicht zwangsläufig ausgeliefert bin. Es kann mir einfach mal zu anstrengend sein, „entsprechend“ zu reagieren, wenn Dom mit Zumutungen kommt, die mich herausfordern sollen. Mein Körper und mein Gemüt scheinen über eine Art „Energisparmodus“ zu verfügen: wenn der eingeschaltet ist, berühren mich die Dinge nur wenig oder gar nicht. Psychische „Methoden“ gehen dann praktisch an mir vorbei. „Höhere Gefühle“ brauchen MEHR Energie, also lehnt mein Gesamtwesen es einfach ab, auf Auslöser anzuspringen, sich über Gemeinheiten aufzuregen oder irgend einen Ehrgeiz zu entfalten, an dessen Leine ich „vorgeführt werden“ könnte. Ich hätte nie gedacht, WIE EINFACH das ist!!!

Und was für ein Witz:
man muss sich also extra ANSTRENGEN, um so richtig leidensfähig zu sein! Ich merke das auch, weil ich manches Mal in solch müden Situationen dem Liebsten zuliebe ein wenig mehr Spannung, mehr Ehrgeiz, mehr Beteiligtsein zu kreieren suche. Mal gelingt es, mal nicht, das Lehrreiche daran ist die Aktivität selbst: Was tu ich da eigentlich??? Ich nehme innerlich Haltungen ein, die mich verletzlicher machen:

Indem ich eine eigene FESTE FORM verteidige, konkrete Vorstellungen von mir hege, etwas Bestimmtes will oder nicht will, mache ich mich angreifbar und biete dem Gegenüber einen Widerstand, an dem er nun Kraft einsetzen kann, um ihn zu überwinden. Tue ich das nicht, lasse ich alle Vorstellungen über ein erwünschtes Dasein und Sosein los, trete ich quasi beiseite und jeglicher Angriff geht an mir vorbei, bzw. durch mich hindurch.

Wer nun meint, dies gelte nur für psychische Leiden, irrt. Lange vor solch subtilen Beobachtungen höherer Gefühle lernte ich, durch körperliche Entspannung einem Schmerz so zu begegnen, dass er möglichst wenig schmerzt. Wer verkrampft, leidet doppelt und dreifach, wer jeglichen Widerstand aufgibt und sich weitestmöglich entspannt, kann vieles locker wegstecken, was für einen Beobachter ziemlich martialisch wirken mag. Schläge zu erotisieren gelingt dann zum Beispiel viel leichter, sofern noch Kraft dafür da ist: auch Geilheit strengt ja an, eine Erregungskurve muss man erklimmen können, und wenn ich erschöpft bin, lasse ich es lieber bleiben.

Nichts geht mehr…

Und was wird nun aus der Session? Wenn Sub einfach nicht leidet, sondern alles recht ungerührt über sich ergehen lässt, macht es auch Dom bald keinen Spass mehr, mit Zumutungen fortzufahren. Eine BDSM-Szene ist nun mal etwas sehr Interaktives: wer nichts dagegen hat, „unten zu sein“, kann kaum noch dominiert werden.

Die nahe liegende Idee, Sub einfach bis an die Grenze zu fordern, mit den schmerzlichen (oder auf andere Art unerträglichen) Zumutungen so weit zu gehen, dass ihre Möglichkeiten des „entspannten Hinnehmens“ ans Ende kommen, ist keine wirkliche Alternative. Es gibt dann nämlich keinen Puffer mehr, keine zweite Wirklichkeit, kein „Spielfeld BDSM“, auf dem Grenzberührungen neugierig getestet werden, auf dem Wut und Trotz, Hingabe und Loslassen erlebt und in gewisser Weise „genossen werden“ könnten. Ohne körperliche, seelische und geistige Energie ist das alles nicht mehr zugänglich. Es bleibt das bare, nackte Sosein, das Hier&jetzt ohne jegliche Bedeutung, Überhöhung oder Verziehrung.

Grenzberührung oder gar Überschreitung in einer energielosen Situation ergeben dann nur noch „ganz normale Reaktionen“: der Schmerz ergreift mich, ich werde augenblicklich zum vollständigen AUSDRUCK dieses Schmerzes, bin geballter Missmut, reines Leiden und nichts als das; habe keinerlei Kraft mehr, alledem etwas entgegen zu setzen, es zu bewerten oder innerlich damit herum zu rechten, mit Dom zu „spielen“, zu bitten, zu verhandeln, mich zu wehren. Ich verzweifle einfach nur und verhalte mich dazu nicht weiter, verberge nicht eine Facette meines alles umgreifenden Widerwillens – na, das müsste schon ein ziemlich gestörter Realsadist oder ahnungsloser Dummdom sein, der an so etwas noch lange Freude hat! Der Meine jedenfalls bemerkt es schnell, wenn uns die Spielebene tendenziell entgleitet und ist eher einmal mehr zu vorsichtig als zu forsch.

Zum Glück gibt es in unserem Fall die schöne Möglichkeit, die Seiten zu wechseln, wenn ich für die „passive“ Seite (so passiv ist das eben gar nicht!) zu erschöpft bin: Vordergründig ist es zwar anstrengender, Dommé zu sein, doch fällt es mir manchmal leichter, die Haltungen der „Macherin“(also das, was mich den Tag über so erschöpft) im erotischen Rahmen einfach weiter laufen zu lassen, anstatt mich verletzlich zu machen und von Dom gefordert zu werden.

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  1. Pingback: Die verschiedenen Arten der “Lust am Schmerz” » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

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