Einfach leiden

*Mein gestriger Eintrag „Vom Absturz“ war fast ein wenig prophetisch. Zwar erlebte ich keinen wie immer gearteten Sturz von irgend einer Höhe herunter, aber durchaus Vergleichbares: ich kam gar nicht erst rein ins Vergnügen. Ich klebte fest an knallharten inneren Widerständen, litt einfach nur an dem, was passierte, und fragte mich immer mal wieder: Was tu ich hier eigentlich?? Bin ich nicht ganz dicht??

„Vergnügen“ ist nun eine im BDSM-Kontext zumindest problematische Kategorie: Das Spiel mit physischen und psychischen Schmerzen hat seine ureigene „Lust“ und kann auch ganz jenseits der erotisch-sexuellen Ebene mit vielfältigem Gewinn erlebt werden:

  • Herausforderung und Selbstüberwindung, Grenzerfahrungen
  • Aussteigen aus den Automatismen gewöhnlichen Reagierens bzw. deren „hautnahes“ Erforschen,
  • sinnliche Erfahrungen, Veränderung derselben im Wechselspiel mit Gedanken und Gefühlen,
  • Erleben heftiger, im Alltag weitgehend vermiedener Gefühle,
  • Verlassen der rationalen Ebene, Auflösung des gewohnten, verstandesorientierten Selbstbildes,
  • spontane Emotionalität, Befreiung von Konventionen und Erwartungen,
  • inneres Loslassen, Hingabe an das, was ist… –

die Liste ließe sich fortsetzen. Eine Session ist ein Abenteuer mit Körper, Psyche und Geist, wie es unser zivilisiertes und rundum wattiertes Leben nur noch selten bietet (und wenn, tun wir selbstverständlich alles, um diesen „Einbruch des Realen“ in die Schranken zu verweisen.)
Bergsteiger und andere Extremsportler wissen, wovon ich rede, BDSMern erzähle ich nichts Neues.
Die Dimension bloßen Vergnügens wird im Rahmen der dunklen Erotik jedenfalls bewusst und gewollt überschritten – was also kann da schief laufen, bzw. wie lässt sich das „Leiden am Leiden“ beschreiben?? (Oder war da gar nichts „falsch“?)

Widerstände und sonst gar nichts

Ich schreibe nicht zuletzt deshalb, weil es mich aufs Schärfste heraus fordert, wenn ich Dinge nicht in Worte fassen kann, wenn der Verstand aufgibt und nur noch kopfschüttelnd beobachtet, was da geschieht. Da öffnet sich einerseits ein Tor in eine andere, vollständigere Seinsdimension, andrerseits sehe ich sämtliche möglichen „anderen Dimensionen“ als Bergwerke, in deren Schächte ich einfahre, um allerlei Schätze zu bergen, die das „ganz normale Leben“ bereichern und verändern.

Gestern abend fuhr ich ein und hatte doch das Gefühl, draußen zu bleiben. Die vertraute Ambivanlenz gegenüber dem, was geschah, war einem durchgängigen Unmut und Unwillen gewichen. Ich hatte mir diese Session gewünscht, doch half mir das jetzt nichts. Mein liebster Gefährte machte nichts falsch, im Gegenteil, er gönnte mir eine wundervolle Streckfesselung, deren aufrührende und aufwühlende Wirkungen ich wirklich schätze – nur jetzt mochte ich es einfach nicht, aufgewühlt zu werden! Er bemühte sich intensiv, mich aus meiner Verstocktheit heraus zu holen, mit Worten und Taten, mal zart, mal härter. Leider ohne Erfolg, ich driftete innerlich ab und wenn ich da blieb, war ich voller Trotz, Wut und Ärger, erreichte aber nicht jenen Grad des Leidens, der ein Auflösen der Spannung in Tränen ermöglicht hätte.

Als es dann zu Ende war, beruhigte ich mich langsam wieder, konnte richtig zusehen, wie mein Gemüt nach und nach von den Höhepunkten der leidvollen Gefühle herunter kam und sich tief und restlos entspannte. (Für diese kathartische Wirkung braucht es gar nicht den spektakulären „Durchbruch ins Weinen“, genausowenig, wie ich noch einen Orgasmus als spannungslösendes Gipfelerlebnis brauche, um ekstatisch zu genießen.)

Was war nun anders als sonst? Natürlich fragte mich der Freund meines Herzens aus und es tat mir leid, nicht gleich etwas Sinnvolles und Erklärendes sagen zu können. Ich war nicht „im Dialog“ gewesen, sondern hatte diesen weiträumig verweigert, hatte ausschließlich Unmut und Widerstand gezeigt, doch ohne Konsequenzen zu ergreifen und die Session abzubrechen. Ich hatte ihn mehr oder weniger alleine ins Leere agieren lassen, was mir jetzt ein bisschen leid tut, jedoch nicht allzu sehr: immerhin konnte ER meine Leiden durchaus genießen, wie er mir glaubhaft versicherte! :-)

Wenn ich es mir im Ganzen betrachte, hatte ich einfach nicht die nötige Energie für eine Session: noch immer ein bisschen angeschlagen, nicht ganz gesund, ziemlich überarbeitet, körperlich müde und abgespannt. Wer aber nicht mal kräftig und munter genug ist, um auf leichte Art geil zu werden, sollte auch das Spiel mit den Schattenaspekten meiden: Zwar benötigt es keine explizit sexuellen Aktivitäten, doch ist die sexuell-erotische Spannung der Brennstoff, von dem auch die Spiele der härteren Gangart zehren.

Die dunkle Seite des Daseins

Nichtsdestotrotz hatte auch diese für mich ausschließlich leidvolle Session Sinn. In der Betrachtung des Leidens, insbesondere an der Grenze zum Weinen, fiel mir die subtile Befriedigung auf, die darin liegt, überhaupt mal wieder so ein Gefühl zu haben. Das bemerke ich nicht in den Momenten der „Äktschn“, wenn ich mich etwa unter der tropfenden Kerze konvulsivisch winde, sondern in den Augenblicken des Nachlassens, in den Pausen nach heftiger Beanspruchung, oder auch im Trauern über den mangelnden Kontakt, das „daneben Stehen“, das mich dann vom Gefährten trennt. All diese Gefühle „jämmerlichen Leids“ haben so etwas Altbekanntes, aus Urzeiten vertrautes, es ist wie eine Art „heim kommen“, sie wieder zu erleben, sie als Teil des Ganzen wieder zu begrüßen und ganz in ihnen auf zu gehen, ohne dass man sich „zusammen reißen“ müsste oder sonst etwas dagegen tun.

Nach einer solchen Erfahrung bin ich vollständiger als zuvor. Das Leiden, dem ich auf diese Art begegne, ist nicht das Leiden an den Behandlungen und Zumutungen des Partners – sie sind nur Auslöser bzw. Vehikel, sind Boot, um das andere Ufer zu erreichen. Schließlich weiß ich auch noch im tiefsten Leidensgefühl, dass ER mich liebt und mir nichts Böses will, dass wir im vollen Konsens eine BDSM-Session inszenieren.

Nein, es ist das GROSSE LEIDEN, an dem Menschen immer schon Anteil haben. Die dunkle Seite des Daseins, das Unglück, das Elend, das ewige Leiden an Alter, Krankheit, Tod, Krieg, Haß, Gier und Ignoranz. Leiden am Hunger, an körperlicher Anstrengung, am Mangel jedweder Art, am Misserfolg und an der schwarzen Leere des Kosmos, der uns nicht antwortet – gegen all dieses „ganz normale Leiden“ haben wir unsere effektiven Verteidigungs- und Verdrängungsmechanismen errichtet. Im Alltag sind wir COOL und wollen es tunlichst bleiben – nur ein Dalai Lama kann sich erlauben, einfach so in Tränen auszubrechen, wenn er von etwas Schlimmem hört. WIR sind üblicherweise nicht stark genug und auch nicht willens, all das menschliche Elend stets und ständig an uns heran zu lassen.

Also mauern wir unsere Herzen ein, bis wir nichts mehr fühlen. Aber etwas in uns findet sich damit nicht ab, sucht Wege, die verlorene Offenheit für das GANZE wieder zu gewinnen – und sei es durch drastische Methoden, wie etwa eine „leidvolle“ BDSM-Session.

4 Kommentare

  1. Hi Clu,

    für mich dein bisher bester Beitrag. Ganz tief berührt fühle ich mich, den Tränen nahe wie…lange, sehr lange nicht mehr.

    Danke und einen lieben Gruß

    Klaus

  2. Pingback: Die verschiedenen Arten der “Lust am Schmerz” » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

  3. Danke liebe Clu,
    besonders der Abschnitt über die dukle Seite erklärt doch einiges! So eine Art eintauchen in Verzweiflung und dann, ganz wichtig, das Wiederauftauchen. Gebeutelt, aber erleichert, so erlebe ich das auch!

    LG Briseis

  4. Ich hab zum selben Thema einen persönlichen Beitrag geschrieben, weil es auch mich beschäftigt. Die Emotionen rund um SM.
    Es tut gut, nun, nachdem ich meinen Beitrag schrieb und hier einstellte:

    http://www.bdsm-kontaktzweig.de/index.php?option=com_content&view=article&id=105:weinen-und-schluchzen&catid=76:eigene-artikel&Itemid=73

    (ich hoffe, ich darf hier ein Link rein setzen)

    … nun auch deine Zeilen dazu zu lesen, in denen ich mich sehr wieder finde.

    Danke dafür.

    Marv

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