BDSM: Vom Spielen

Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.
– Friedrich Schiller –

Nicht wenige SM-Praktizierende verwahren sich gegen den Begriff des „Spielens“, der im allgemeinen für eine SM-Session, bzw. alle „neigungs-bedingten“ Interaktionen zwischen den Beteiligten Verwendung findet. SM bzw. DS werde nicht gespielt, sondern gelebt, wird eingewendet – und dass es auch keine „Sessions“ gäbe, denn auch dieser Begriff gehe ja von einer Abspaltung aus, die man gar nicht empfinde.

Trotz dieser Argumente gelingt es in der Regel nirgends, in Diskussionen ANDERE BEGRIFFE zu etablieren: Wie will man es auch nennen, wenn man „zur Sache kommt“? Vanillas „haben Sex“ und können sich darüber austauschen – was aber hat man im BDSM? Diejenigen, die SMige Elemente lediglich als Vorspiel zur Vereinigung nutzen, können evtl. noch beim Reden über „Sex“ mithalten – nicht aber all die Anderen, bei denen die genitale Sexualität eher eine nachrangige Rolle spielt.

Die zweite Wirklichkeit

Neben diesen semantischen Problemen führt aus meiner Sicht aber auch inhaltlich kein Weg am „Spielen“ vorbei. Denn in der Regel klafft bei allen, die sich nicht auf „Session-Kontakte“ beschränken, sondern AUCH eine darüber hinaus gehende Liebesbeziehung mit gemeinsamem Alltag entwickeln, ein Abgrund zwischen dem, was diese Liebe ausmacht und dem, was die Neigung ersehnt. Gegenüber dem Geliebten empfindet man Wertschätzung, Zärtlichkeit, Fürsorge – und auf der Ebene der Neigung träumt das Kopfkino weiterhin krasse Szenen aus Demütigung, Machtausübung, Machtlosigkeit und Schmerz. Und schon spaltet sich das gemeinsame Leben auf: einen geliebten, vertrauten Partner will man nicht „wirklich“ demütigen, bzw. könnte es nicht ertragen, wäre die im SM-Kontext zugemutete Demütigung auch auf der Beziehungsebene ganz ernst gemeint (dass sie es NICHT ist, wird ja allenthalben durch das für sehr wichtig gehaltene „auffangen“ immer neu demonstriert).

Das Spiel ist die erste Poesie des Menschen.
Essen und Trinken sind seine Prosa.
– Jean Paul –

Warum also nicht „spielen“ nennen, was tatsächlich nur „spielerisch“ stimmt? Manche sind dagegen, weil sie ihre „DS/SM-Beziehung“ gegen jeglichen Verdacht der „Unernsthaftigkeit“ verteidigen möchten. Doch nicht die Beziehung mit all ihren Aspekten und Ebenen ist ja in der Regel mit „dem Spiel“ gemeint, sondern allein die Inszenierung derjenigen Neigungs-Elemente, die gerade NICHT Wertschätzung und Fürsorge, sondern Distanz, Macht, Härte, coole Herausforderung, Befehl & Gehorsam, sowie SMige Quälereien aller Art beinhalten. Eine Ebene also, die dem, was dennoch wahr bleibt („wenn ich es nicht mehr mag, stehe ich auf und gehe“ bzw. „eigentlich liebe ich ihn/sie und will nur ihr Bestes“) widerspricht.

Mit Widersprüchen leben = spielen

Kein anderer Begriff vermag zu leisten, was das SM-Paradox uns allen zumutet: das Erleben und Ausleben der SM/DS-Ebene in einen Bezug zur Beziehungsebene zu setzen, der die Widersprüche nicht auflösen muss, sondern stehen lassen kann – und es erlaubt, sinnvoll darüber zu sprechen.

Dass ein „Spiel“ nicht berührt und nicht verändert, dass es bedeutungslos und folgenlos frei im Raum stehe und die Gefühle dabei „nicht echt“ seien, ist eine Fehlinterpretation des Spielbegriffs. Ein Spiel kann zum bedeutendsten Aspekt des Lebens werden, das die tiefsten und drastischsten Gefühle evoziert – und doch kann es solange mit Recht „Spiel“ genannt werden, so lange es nicht alles ist, nicht das ganze Leben umfasst und mittels seines Regelsystems erklärt. Solange also z.B. die „Macht“ des Doms durch den Rahmen beschränkt ist, den das Paar für sich gewählt hat – und solange nicht alles, was in der Beziehung geteilt und miteinander erlebt wird, mit diesen Regeln und Ausdrucksformen zu beschreiben ist.

In meinen Anfangsjahren war ich auch aus ganzem Herzen GEGEN den Begriff „Spiel“. Ich setzte es gleich mit „Theater“ und sah mich weit entfernt von jeglichem „Theater spielen“, das ich als unechtes Vortäuschen von Empfindungen ansah: unbedingt zu vermeiden! Damals verschloss ich die Augen vor dem, was tatsächlich statt fand. Nämlich ein Bemühen, mich „entsprechend“ zu verhalten, wenn ich mit meinem Jeweiligen zur Sache kommen wollte – damit es auch klappt mit dem „gefühlten Machtverhältnis“ und ich auch wirklich „in Sub-Space“ eintauchen kann. Würde ich „alltäglich“ reagieren und meine Sub-Seite nicht aktualisieren, hätte kein Top der Welt den Schimmer einer Chance, mich zu dominieren – und das ist gut so. Denn BDSM meint nicht Abhängigkeit und Unfreiheit, sondern die bewusste Entscheidung, sich einzulassen: auf das Gegenüber ebenso wie auf die Erfordernisse der eigenen Neigung. Letztere zu befriedigen und gleichzeitig die Beziehung nicht darauf zu beschränken, führt über kurz oder lang in die „Kunst, zu spielen“ – im allerbesten Sinne.

***

Ähnliche Artikel:
Vom SM-Paradox als KOAN
Zur Halbwertszeit von SM-Beziehungen
SM und Liebe, Wunschzettel und Standardprogramm

8 Kommentare

  1. Ich möchte mit deinem so wichigen zitat einsteigen:
    „Denn BDSM meint nicht Abhängigkeit und Unfreiheit, sondern die bewusste Entscheidung, sich einzulassen“
    Leider etwas das viele irgendwie nicht so ausleben, trotzdem sich im Bereich BDSM aufhalten.
    Ich selbst nenne mich Spielführer und dies wird leider all zu oft als Zeichen gesehen das ich meine Dominanz nicht auslebe. das Wort Spiel ist ncht nur in der BDSM Welt irgendwie verpöhnt, ich stelle immer wieder in Gesprächen fest das es bei dem gegnüber ankommt als ob ich von etwas nichtigen spreche etwas ohne substanz.
    Ein schönes spiel ist viel zu selten wenn das spiel existiert schließt sich eine welt.
    Eigentlich komisch das man über die größe dieses große Wort diskutieren muß, denn es kennt jeder durch seine Kindheit.

    Aus Erfahrung habe ich gelernt das Beziehungen die keine Spielsessions machen einen schwer zu brechenden Teufelskreislauf lostreten, denn durch die permanente Rolle fehlt die gemeinsame Reflektion.

    Vielen Dank für Deinen Beitrag
    *verbeug*

    Lebenslust

  2. @Lebenslust
    ja, genau so sehe ich das auch. Wer keine Dimension außerhalb der Rolle teilt, kann nicht frei und unbelastet von Rollenerwartungen „drüber reden“ – und das tut keiner Beziehung gut.

    Allerdings steht für viele erstmal auch nicht die Beziehung im Vordergrund, sondern eben das Ausleben – es ist ein längerer Prozess, bis man bemerkt, dass man sich damit selbst beschränkt und echte Nähe geradezu verhindert (etwas, nach dem viele ja im DS suchen);

  3. danke fuer diesen artikel.. ich glaub, jetzt kann ich auch „spielen“ sagen, ohne die situation der ernsthaftigkeit und tiefe beraubt zu sehen.

    und ich bin ein bisschen ins gruebeln geraten, warum man den begriff als so abwertend empfindet.. fazit meiner wirren gedankengaenge: vermeintlich erwachsene nehmen kinder zu wenig ernst. und den vermeintlichen ernst des lebens fuer zu wichtig, als dass man dem spiel seinen angemessenen wert zugesteht.

    ich gerate ins philosophieren.. nuja..
    mir faellt da noch ne schoene zeile von augustinus ein..

    oh mensch lerne tanzen, denn sonst wissen die engel im himmel nichts mit dir anzufangen..

    ich glaub das is uebertragbar =)

    danke fuer dieses blog, uebrigens. les immer mal wieder gern drin..

  4. Ich habe auch immer das Wort „spielen“ gehaßt, besonders wenn die Experten mit ihren „Spielkoffern“ im „Spielzimmer“ aufkreuzen und ihr „Spielzeug“ auspacken. Klang sooo lächerlich in meinen Ohren.

    Nun habe ich etwas mehr Erfahrung, und meine Einstellung hat sich gewandelt.

    Selbst wenn die BDSM-Aspekte tief in der gegenwärtigen Beziehung verwurzelt sind und die Weisungskette in der Familie feststeht, gibt es doch besondere Zeiten, in denen die Neigung offen ausgelebt und ausgedrückt wird. Man braucht also ein Wort wie „spielen“; alternativ könnte man sagen, „ausleben“ oder „BDSM erleben“ oder im D/s-Sinne „dem Protokoll folgen“, aber diese Wörter sind alle ziemlich klobig.

    Dazu kommt, daß „spielen“ mehrere Bedeutungen hat. Die Hauptbedeutung ist sicherlich „einer unernsten Tätigkeit folgen, konsequenzlos üben und dabei der Phantasie folgen“. Daneben gibt es noch die Bedeutung von „abspielen“, „seinen Verlauf nehmen“ – was Eingang gefunden hat in Worte wie „Glockenspiel“ oder auf englisch „he’s giving me the spiel“ (er rasselt seinen Sermon herunter). Mit dieser Bedeutung lassen wir BDSM „spielen“ und geben uns hin.

    „Spielen“ bedeutet also vieles, und da ist auch für mich etwas Passendes dabei.

  5. wann fesselt uns ein schauspiel – wenn wir uns darin widererkennen oder zumindest unsere welt, wenn wir authetizität annehmen können – wider besseres wissen. oder etwa doch nicht?
    wer einige methoden kennt, mit denen schauspieler sich auf ihre rolle vorbereiten, wird kaum in versuchung kommen, in „spiel“ eine leichtfertige oder verlogene aktivität zu sehen.
    selbst wenn die ratio weiss, dass die gestalt auf der bühne, die uns glauben lassen will, sie sei judith, nicht wirklich den kopf von holofernes sehr undamenhaft von seinem leibe trennt, so will sie doch auch im empathischen nachvollzug eine art „wahrheit“ sehen, glaubhaft, ernsthaft und nachvollziehbar. einen aspekt des lebens – überhöht, abgespalten auf meta-ebene und gleichzeitig exemplarisch und genuin.
    das ist eine leistung. kein spaziergang.
    wie so oft, ist der sprachliche ausdruck von grossem interpretationsspielraum – wer schnörkelloses verstehen wünscht, dem werden hier grenzen schmerzhaft aufgezeigt, wer sich daran gewöhnt, dass in der auseinandersetzung um interpretationen etwas erfahren werden kann, hats gut;-)

  6. Pingback: Vom Nachdenken über BDSM | In den Schattenwelten – Clus BDSM-Blog

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.