Irritierende Normalisierung

„Es reicht, ich werd‘ einfach nicht mehr reinlesen!“ – so denke ich immer mal wieder, wenn ich das größte aller SM-Foren weit und breit durchstöbere und die „Diskussionen“ dort miterlebe. Wobei es nicht drauf ankommt, dass es „das Größte“ ist, die wenigen kleinen Coms, die es noch gibt, wirken auch nicht viel anders, nur leerer und sehr viel langsamer.

Liegt es an mir? Vermutlich ja. Ich bin keine begeisterte Einsteigerin mehr, die fasziniert durch die virtuellen Inseln der dunklen Erotik surft und alles aufsaugt wie ein trockener Schwamm. Die in nahezu jedem neu eröffneten Thema binnen kurzem zu Tage tretenden Aggressivitäten ziehen mein Menschenbild in den Keller und verdüstern mir die Stimmung: Der SM-Kitsch in den allermeisten Geschichten, die immer selben Kopfkino-Versatzstücke, das Posten provozierender oder ganz besonders hirnloser Themen, um auf das eigene Profil aufmerksam zu machen – und Nonsens-Gespräche bis zum Abwinken, leider nicht nur Montags.

Man könnte die Klage fortsetzen, doch schenke ich mir das. Schließlich erinnere ich mich gut an die Zeit, als mich all das nicht störte, als ich nämlich noch GETRIEBEN war vom Verlangen, endlich all das auszuleben, was meine Fantasien hergaben. Und gleichzeitig wollte ich doch „bei mir bleiben“, den Geist nicht an der Haustür irgend eines „Doms“ abgeben, der mein Kopfkino halbwegs passend realisieren würde, so alle zwei, drei Wochen mal. Um dann den Rest der Zeit als „Märchengestalt in der Ferne“ per Mailwechsel nächtliche Geilheiten zu bedienen, mal in Gestalt gefühlig-romantischer Dominanz & Unterwerfungsfantasien, mal als knallharte SM-Imaginationen, fernab jeglicher Realisierbarkeit.

Die Artikel in diesem Blog zeigen alles in allem, wie meine persönliche Integration aussieht. Ich war nicht bereit, zugunsten der Neigung den mehrdimensionalen Blick auf die Wurzeln und Hintergründe aufzugeben – im Gegenteil, jedes Erleben und jeder Partner im Lauf der Jahre trug dazu bei, mein Verständnis zu ergänzen und zu vertiefen. Die Besessenheiten der Einsteigerzeit erscheinen mir heute als zum Glück vorüber gehende Geistesverwirrungen: kaum vermeidbar, wenn man (endlich!) daran geht, einen lange ignorierten Teil seiner selbst ausleben zu wollen, durchaus lustvoll, aber eben doch ziemlich „verwirrt“.

So zum Beispiel der Eindruck, SM-Beziehungen seien ja so viel intensiver und „tiefer“ als das langweilige „Vanilla“ mit seiner Beschränkung auf „ganz normalen Sex“. Ja, das erscheint zunächst so, wenn man endlich das Ziel lang gehegter Wünsche erreicht, doch im Lauf der Zeit wird ebenso klar: Nicht die NEIGUNG macht die Qualität einer Beziehung aus, sondern all das, was schon immer galt: Offenheit, Ehrlichkeit, gewachsenes (!) Vertrauen und gemeinsame Interessen jenseits der Erotik.

Ach ja, das viel beschworene „Vertrauen“! Wenn ich heute die faszinierten Anfänger-Subs davon schwärmen höre, möchte ich sie am liebsten fragen, ob sie IHM denn auch die Zugangsdaten zu ihrem Online-Banking geben würden. Da ER oft genug nur ein „virtueller Bekannter“ ist, mit dem man sich in gewissen Abständen zu einer Session jenseits des Alltags trifft, markiert das Beispiel ganz gut, was ich meine: Jemandem soweit vertrauen, dass ich mich von ihm mal fesseln und verhauen lasse, dazu gehört nicht wirklich viel. Schließlich befinden sich unter SMlern genauso wenig abgedrehte Psychopathen wie im Rest der Bevölkerung – und auch ein Vanilla-Date kann in eine Katastrophe münden, falls man doch einen davon erwischt. Eine Gefahr, die allerdings durch ein kundiges Abchecken des Gegenübers minimiert werden kann: man sollte schon mehr als den Nicknamen vom Gegenüber wissen, bevor es zur Sache geht. Was allerorten so großartig als „Vertrauen“ beweihräuchert wird, ist oft genug nichts anderes als Wagemut in Verbindung mit Erlebnisgeilheit: ich will endlich mal Praxis, also vertraue ich!

Im Moment denke ich darüber nach, welche Inhalte rund um BDSM Menschen interessieren könnten, die schon ein paar Jahre „ausleben“ hinter sich haben. Wer da Ideen hat, ist herzlich eingeladen, sie mich wissen zu lassen!

7 Kommentare

  1. mir gehts ganz ähnlich, man mag kaum noch in das erwähnte Forum schauen, aus ziemlich genau den Gründen, die Du anführst..

    was die Inhalte angeht, die für Nicht-Mehr-Einsteiger interessant sein können… nunja, Geschichten, Stories können (so sie gut sind) auch dann noch Lesefreude mit sich bringen, wenn man schon ein Weilchen dabei ist.. hauptsache sie sind nicht überladen mit dem ganzen SMkitsch und vorhersehbarem Plot ausgestattet..

    ansonsten ist vermutlich eine Folge dieser Normalisierung, dass auch der Bedarf an Informationen und Austauschmöglichkeiten einfach sinkt..

  2. Liebe Clu,
    das Unbehagen, das nicht nur du ob der beschriebenen Phänomene
    empfindest gründet in einer – ich will es mal Kontextverwirrung nennen.
    Mit Kontext in diesem Zusammenhang meine ich die Motive und Ziele,
    die die Teilnehmer an einer Diskussion zu eben dieser Teilnahme bewegen.
    Das betrifft Gespräche unter mehreren im realen Leben ebenso wie
    Diskussionen im Netz.

    Die Älteren unter uns erinnern sich noch einer Diskussionskultur, die den
    gemeinschaftlichen Erkenntnisgewinn zum Ziele hatte. :-)
    (Vielleicht ist das auch Kitsch, aber mit DEM kann ich locker leben)

    Üblicherweise erkenne ich demgegenüber gegenwärtig zwei Hauptmotive, sich zu Wort zu melden:
    * Aufzufallen um sich besser „zu vermarkten“ und
    * in exhibistionistischer Manier das eigene BDSM – und Sexualverhalten der Öffentlichkeit zu unterbreiten in der Hoffnung, mittels deren Zustimmung dasselbe zu rechtfertigen.

    Aufmerksamkeitssucht dürfte nun mal ein Gegenwartsphänomen sein, das weit über den Kreis der BDSM-Interessierten hinausreicht. Ändern können wir es aus unserer Binnenposition heraus kaum. Das mag durchaus lästig werden, doch dem kann man mit einer wohldosierten Portion Ignoranz durchaus deeskalierend begegnen. (Die Hunde bellen – die Karawane zieht weiter!)

    Schwieriger gestaltet sich hingegen der Umgang mit denen, die eine Rechtfertigung für ihr Handeln erheischen. Meist beginnt eine Diskussion mit einer Frage. Die erhoffte Reaktion des Fragestellers ist eine möglichst eindeutige Mehrheitsmeinung für die eigene Haltung. Fällt das „Urteil“ jedoch negativ aus, bieten sich zwei Handlungsalternativen. Die Gruppe wird gewechselt, bis eine gefunden ist in deren Zustimmung sich dann trefflichst suhlen lässt, oder der Betreffende geht in sich und versucht sein Verhalten, seine Haltung zu ändern. Letztere halten sich für sehr aufgeklärt und meinen, sie würden ergebnisoffen diskutieren.

    Reagierst du nun auf die Eingangsfrage mit analytischen Gedanken oder beginnst du gar textkritisch das vermeintliche Thema zu reflektieren, begehst du aus der Sicht eines solchen Fragestellers eine Art Parteiverrat. Wie kannst du nur seine Sandförmchen zertreten, seine Bauklötzer umwerfen. Wohlmöglich gerät in Folge deines Beitrags sein Ziel der sozialen Akzeptanz ganz in den Hintergrund.
    Noch schlimmer, vielleicht müsste er vielleicht über sich nachdenken. Geht ja nun gar nicht. Schliesslich wollte er mit der kuscheligen Einbettung in einen Gruppenkonsens nun ENDLICH einen Schlussstrich unter seine Selbstzweifel ziehen: „Man kann ja alles zerreden, Pauschalisierungen sind immer falsch und überhaupt, jeder Jeck ist anders!“

    So betrachtet darfst du dich über Wut, Aggressivität bis hin zu Hass nicht wundern.
    Selbst im realen Leben durfte ich derartigen Ausfällen mehrfach beiwohnen.
    Von wegen BDSMer seinen Scham-geprägt…
    Das war die schlechte Nachricht.

    Und nun kommt die gute:
    Betreffende „Harmoniejünger“ kann man ganz einfach ruhigstellen.
    Schriftlich habe ich da eher weniger Erfahrung, mündlich geht das sehr einfach.
    Schliesse dich dem Fragesteller an; versichere ihn deiner moralischen Unterstützung; benutze Formulierungen der Art: “ Ich schliesse mich deinen Ausführungen an; lass sie mich noch einmal in anderen Worten wiederholen, auf dass noch mehr verstehen, um was es geht.“
    Ab dem Moment hören die „Harmoniejünger“ eh nicht mehr zu. Sie haben das, was sie wollten: du hast deine soziale Pflicht erfüllt. In das nun entstehende Aufmerksamkeitsloch hinein kannst du nun argumentativ jedwede Botschaft posten, selbst die genaue Kontraposition deines Vorredners. Und es werden nur noch diejenigen antworten, denen es um Inhalte geht.
    Vielleicht nicht nett, aber funzt!

    Gruss Henri

  3. @Henri: danke für deine umfassende Analyse mit eigener Erfahrung und Verhaltenstipps!
    In der Analyse schließe ich mich dem locker an, doch werde ich auch weiterhin kein „Besänftigungs-Intro“ vor meine Beiträge setzen.

    Es geht mir hierbei nämlich nicht um MICH, bzw. nur insofern, als es mir halt öfter die Laune vermiest, wenn ich all das mitlese (selber schuld!). Ich nehme Themen und Kommentare auf, wenn ich grad Lust habe, zum angerissenen THEMA zu schreiben. Ob der Thread-Eröffner damit klar kommt, ist mir nicht weiter wichtig – darum bemühe ich mich nur, wenn jemand ein ernsthaftes eigenes Problem vorträgt UND nicht nur Bestätigung sucht.

    Insofern ist meine hier gepostete „Klage über die Lage“ bloßes Befindlichkeitsbloggen – das darf im eigenen Blog ja mal sein! :-)

    @Unding: ja, solche Geschichten lese ich auch gern, doch sind sie selten!

    @RequiemCuvre: wie ich aus deiner Website entnehme, seid ihr Swinger ohne spezifischen SM-Bezug. Kreative Erotiker also, die aus einem breiten Spektrum an „Szenen“ wählen können – das ist eine andere Ausgangsbasis!

  4. Liebe Clu.
    Wieder ein gelungener Artikel.

    Nun, Du fragst, welche Themen Leute interessieren, die SM schon ein paar Jahre ausleben. Du gibst die Antwort längst. Du präsentierst hier Inhalte, die zu lesen sich lohnt, die unterhalten, amüsieren und inspirieren.

    Mich würde es freuen ein paar gute Künstler hier (oder anderswo ;-) ) zu sehen. Markgraf oder Joho oder von Art-of-Raven. NoraS würde auch passen. Es gibt so viele. Neben Deinen schönen Worten ein paar niveauvolle Bilder – das würde ich mir wünschen.
    Vielleicht wären Künstler sogar froh, hier zu sein?

    Du hast hier eine Nische geschaffen. Auch wenn ich aus eigener Erfahrung weiß, dass man eine Website nicht für sich selber macht. Ich fühle mich hier wohl – unter den verhältnismäßig wenigen alten Hasen.

  5. Wie so oft schreibst Du mir aus der Seele! An dieser Stelle muss ich sagen, es gibt nur ganz wenige Seiten die so gut sind wie die Deine und wie es scheint bist Du nun auch wieder aktiver. Ich werde mich sicher in nächster Zeit mal wieder zu Dir hin verirren ;-) Lieben Gruß und mach so weiter!

  6. Hallochen Clu,

    Du sprichst mir, wie so oft, aus der Seele.
    Fast schon detailliert.
    Trotz einjähriger Pause, – ein Jahr, in dem ich überhaupt nichts mehr gelesen habe, konnte ich diese Distanz und Befremden zu alledem, was mir – heute wieder und immer noch – vor Augen kommt, nicht überwinden.

    Tja, welche Interessen verfolgen Jene, die nicht mehr am Anfang stehen.
    Ein Blick in deinen Blog zeigt viele Auszüge dessen.
    Ich hab auch nachgedacht über deine Worte letztens, – dass es wahrlich wenig Menschen gibt, die darüber reden, dass sie sich von einer „Leidenschaft“ weg, insofern in eine andere Richtung hin entwickelt haben.

    Ich selbst hab das Gefühl, alle möglichen Defizite, die ich vor allem im DS kompensieren konnte, bereinigt zu haben, das nennt man wohl Korrektur.
    Müsste ich mich heute beschreiben, – mich irgendwo einordnen, dann wäre ich wohl ein Vanilla in Reinformat. Darüber bin ich nicht unglücklich, zurück bleibt auch kein unwohles Gefühl, keine Enttäuschung oder Ähnliches.
    Ich habe bewusst und willentlich mit dem Feuer gespielt, jahrelang, ich hab meine eigenen tiefsten Abgründe gesucht, bin wohlwissend, dass ich jederzeit mit einem Bein in der Psychiatrie stehe, über jede mir greifbare Grenze hinaus gegangen, habe mit meinen eigenen Urmechanismen jongliert und jonglieren lassen, habe meine größten Trigger frei gelegt, mit Macht und Gewalt Bruderschaft getrunken, mich abrichten, programmieren und züchtigen lassen, um an Punkte zurück zu kommen, die einst – in weiter Vergangenheit – eine destruktive Wendeschlaufe einnahmen…
    All das, um einfach nur – rückwirkend – bei mir anzukommen. Und es ist mir gelungen.
    Ja, ich hab mit dem Feuer gespielt, zwischendurch haushoch verloren, um dann zu gewinnen.
    Heute ruhe ich in mir.

    Schwer zu beschreiben.
    Ich weiß im Moment nur eins. Diesen Beitrag hier hätte ich in gänzlicher Länge und Fülle selbst schreiben können, auch wenn wir natürlich nicht die selben Wege gehen.
    Schön, dass es diesen Blog gibt.

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