Distanz und Nähe in SM-Beziehungen

Können erotisch dominante Menschen keine Nähe zulassen? Ist zunehmende Nähe ein Problem für eine SM-Beziehung? Wie kann, wenn man sich liebt, noch die nötige Distanz aufgebaut werden, um Sub gelegentlich „wie ein Objekt“ zu behandeln und phasenweise so „zu quälen und zu demütigen“, wie es für viele zu einer gelingenden Session gehört?

Immer wieder werden diese Fragen in den SM-Foren und Communities diskutiert, doch sind es Fragen, die nicht allein SM-Beziehungen betreffen. Auch „ganz normale Beziehungen“ haben oft ein Problem mit Distanz und Nähe, denn es gilt:

yinyangZuviel Nähe tötet die Erotik, zuviel Distanz auch.

Sobald ich jemanden nur noch als „Teil von mir“ wahrnehme, kann ich ihn nicht mehr begehren, denn er gehört ja schon zu mir. Bleibt er mir dagegen konsequent fern, kann ich zwar begehren, doch erkenne ich alsbald den Irrtum: wer Nähe nicht erträgt, ist ein ungeeignetes Gegenüber, denn es gibt keine Annäherung, die ja das Ziel der Sehnsucht ist: miteinander „spielen“ ist unmöglich.

Es ist nicht wirklich schwer, sowohl Nähe als auch Distanz zuzulassen, dazu bedarf es einfach der Ehrlichkeit zu sich selbst: Es gibt die Freuden der Nähe UND die Tatsache der Distanz zum Anderen. Jeder ist ein eigenständiges Individuum und hat eigene Interessen, die mit denen des Geliebten/Partners/Spielgefährten nicht immer deckungsgleich sind.

Beide Zustände kann man bei sich selbst beobachten, wie auch ihren Wechsel: In vollkommener Distanz entsteht der Wunsch nach Nähe, in intensiver Nähe entsteht die Lust auf Distanz.

Das eine ist nicht der VERRAT am Anderen, sondern beides ist das natürliche Schwingen zwischen den Polen, wie es etwa im Ying-Yang-Zeichen symbolisiert ist.

Störungen

Menschen, die nur Nähe wollen, wie auch solche, die in Distanz bleiben, weil sie Nähe nicht ertragen, haben ein Problem mit dem Wechsel. Sie fühlen sich verlassen bzw. nicht angenommen, wenn der Partner auf Distanz geht, oder aber sie vermeiden Nähe, weil sie sich dann unfrei und gefangen fühlen. Warum? Beides ist tendenziell in uns angelegt, wir brauchen einerseits Nähe und Bindung, andrerseits Freiraum, um „zu uns selbst zu kommen“ und den eigenen Weg zu finden. Wer nun in der Kindheit allzu sehr auf einen der beiden Pole geprägt wurde, hat es später schwer, die rechte Balance zu finden. Man kann ein Kind mit Nähe schier ersticken, es mit „Nähe nur bei Wohlverhalten“ emotional erpressen, ihm Nähe aus eigener Unfähigkeit vorenthalten und legt so den Grundstein für seine spätere Beziehungsproblematik.

SM-Beziehungen sind für manche Menschen „Spielfelder“, um in einem durch Vereinbarungen abgesicherten Rahmen das jeweils verträgliche Maß an Distanz, bzw. Nähe auszuexperimentieren: Wer als Dom nur im Befehls-Modus mit Sub interagiert und keinerlei Kommunikation auf gleicher Augenhöhe toleriert, versucht, das Unberechenbare (und potenziell Überwältigende) berechenbar zu machen, um so die eigene Angst vor personaler Nähe in den Griff zu bekommen. Und auch Sub, die auf den „immer distanzierten Dom“ abfährt, vermeidet Nähe, die durch verlässliche Regeln und Rituale ersetzt wird. (Das gilt genauso für die umgekehrte Geschlechterkonstellation, der Einfachheit halber vermeide ich hier sprachlich unschöne geschlechtsneutrale Beschreibungen).

Eine SM-Beziehung braucht es nicht einmal, um auf diese Weise zu interagieren: Der Macho, der Frau nur als „Fickstück“ und Dummchen neben sich duldet und die Frau, die das mit sich machen lässt, leben in derselben Struktur, allerdings weniger frei gewählt, da es beide als „ganz normal“ ansehen, was sie da treiben. Auch Menschen, die sich immer in weit entfernte oder gebundene Personen verlieben, vermeiden Nähe, selbst wenn sie von sich selber glauben, dass sie nichts heftiger ersehnen.

Distanz zulassen

Wenn KEINE spezifischen Absonderlichkeiten vorliegen, entwickeln sich Beziehungen von anfänglicher Distanz hin zu immer mehr Nähe: Man kennt sich, man liebt sich, man hat bestimmte Erwartungen, die auch allermeist eintreffen. Wie soll da noch Distanz, Unsicherheit, Unberechenbarkeit erlebt werden?

Meiner Erfahrung nach ist das schlecht möglich, ohne auf der ganz normalen Beziehungsebene ein Bewusstsein für den natürlichen Wechsel der Bedürfnisse zu entwickeln: Ja, man kommt sich näher – aber dennoch bin ich weiterhin ein Individuum, das vom Partner auch mal SATT ist und gerne wieder eigene Wege geht. Viele negieren diesen Aspekt in Liebesbeziehungen, empfinden ihn sogar als Gefahr und potenziell beziehungsschädlich. Das Gegenteil ist richtig: Nur wo ich mich entfernen darf, bzw. gelegentlich die Entfernung des Geliebten spüre, kann ich mich auch wieder nach Nähe sehnen.

Raus aus der Rolle, rein ins Theater!

Und nun zur Session, die viele ja nicht gerne so nennen, weil das so nach Inszenierung klingt und „nicht echt genug“ erscheint: Das zwanghafte Vermeiden aller „theaterhaften“ Aspekte bei gleichzeitig bemüht durchgehaltenem Rollenverhalten hat mich eher BEHINDERT als dass es mich in Richtung gelingender Sessions voran gebracht hätte! Auf „bloße Rollenspieler“ sah ich herab, während ich mich doch schwer darum bemühte, „eine gute Sub“ zu sein. Welch Gipfel der Unbewusstheit, denn was tat ich denn anderes, als ein möglichst gutes Schauspiel zu liefern, wenn mein Gegenüber diesen bestimmten Ton anschlug? Klar ist meine Neigung „echt“, aber sie ist nicht ständiger Teil meines Alltags, sondern aktualisiert sich im erotischen Kontext, der erst einmal inszeniert sein will: Kaum eine Sub hat einen Schalter, der von jetzt auf gleich „in Subspace schaltet“. Es braucht das von beiden Seiten mit Begeisterung oder zumindest gutem Willen betriebene „Intro“ – ein Zusammenspiel, in dem sich die Beteiligten in die jeweilige Rolle einfühlen und die anderen Dimensionen zunehmend ausblenden.

Als Einsteigerin konnte ich das noch nicht so sehen: ich erwartete, dass Dom „den ganzen Job macht“, blieb weitgehend passiv und erwartete Befehle („brave Sub“) ODER war abweisend und renitent, in der Hoffnung, er werde den Widerstand schon irgendwie „dominant brechen“ („dominier‘ mich doch, wenn du kannst!“). Es sollte alles „ganz natürlich“ geschehen und ich brauchte einige Session-Flops bzw. unbefriedigende Verläufe, bevor ich begriff, dass ich erstmal „mitspielen“ muss, damit eine fließende Session entsteht, in der dann nicht mehr viel nachgedacht wird, sondern spontan agiert werden kann.

Ich musste also mein falsches Verständnis von „Theater“ abbauen und nicht mehr versuchen, es krampfhaft zu vermeiden, bevor ich wirklich erfüllende Sessions mit einem zunehmend vertrauten Partner erleben konnte. Mit diesem geänderten Verständnis ist es dann auch kein Problem mehr, die nötige Distanz aufzubauen, um in den kontroversen Session-Stil zu gelangen: zu Anfang ist die Stimmung eher humorig, dann wird es immer ernster und heftiger – und plötzlich ist ER sehr „weit entfernt“, ist so „böse & gemein“, wie ich es mir im Kopfkino träume.

Und doch ist es ein „Spiel“ – ein Spiel mit dem eigenen Bewusstsein und seiner Schöpfungskraft in Bezug auf das, was ich erleben will.

6 Kommentare

  1. danke dir für diese aussergewöhnlich gute und inspirierenden seite!
    ich bin ganz beglückt, sie in dem ganzen wust von weniger gutem bis ganz üblen, zu diesem thema, gefunden zu haben!
    lg
    karo

  2. auch ich finde Deinen Artikel gut. Nähe ist aus beiden Richtungen ein Problem für mich. Ich komme zur Zeit ganz gut klar, weil ich mein eigenes Zimmer in einer WG habe und nur bei meinen Lieben bin, wenn ich wirklich bei einersein möchte. So löse ich das Nähe-Problem auch räumlich.

  3. Pingback: Ist ER zu schwach? » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

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