Dominanz erlernen?

Die Frage, ob Dominanz „naturgegeben“ oder erlernbar ist, gehört zu den häufig wiederkehrenden Themen in einschlägigen SM-Foren. Dabei betonen die einen, dass eine bloß erotische Dominanz ganz gewiss nicht ernsthaft und echt sein könne, wenn der „Dom“ nicht auch im Alltag ein beruflich weit oben angesiedeltes „Alpha-Tier“ sei, das vor Führungsqualitäten nur so strotzt. Für die Gegenseite ist dagegen alles lernbar, natürlich auch dominantes Verhalten – und damit sprechen sie all denen aus der Seele, die nicht mit einem Führungsjob glänzen können, aber doch gerne beim SM den aktiven Part spielen.

Dominanz ist machbar

Ich sage dazu: Dominanz im BDSM ist MACHBAR – ob man das „Lernen“ nennt, ist Geschmacksache. Von der beruflichen Stellung lässt sich nicht auf die erotische Präferenz zurück schließen: schließlich neigen viele „alltagsdominante“ Männer und Frauen zur Sub-Seite, um sich da endlich mal fallen lassen zu können und vom fortwährenden Regie führen zu entspannen.

Unter „lernen“ versteht man im Allgemeinen ein suchendes Forschen, ein Anlesen fremden Wissens und die versuchsweise Anwendung im eigenen Leben. Die Vertreter der „Lern-Fraktion“ fragen also nach bewährten Strategien und Taktiken, die einen „dominanten Auftritt“ ausmachen, und versuchen dann, das entsprechende Verhalten nachzuspielen. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden: im Einnehmen der Rolle und in der Ausführung der jeweiligen Vorgehensweisen wird sich bei vielen das „richtige Feeling“ irgendwann einstellen. Sie schwimmen sich dann aus vorgedachten Formen frei und müssen auf ihre nun „eingespielte“ Dominanz nicht mehr besonders achten.

Ich gehöre nicht zu denjenigen, die den Spielbegriff im BDSM-Kontext ablehnen, weil damit ein „unechtes Verhalten“ gemeint sei. Niemand ist dauernd dominant oder submissiv und jedes „andere Verhalten“ muss erstmal erprobt werden. Schließlich haben viele eine „Vanilla-Sozialisation“ hinter sich, die aus historisch berechtigten Gründen (Frauenemanzipation) männliche Dominanz im Raum der Erotik nicht gerade befördert hat – ohne deshalb eine explizite (!) weibliche Dominanz beim Sex einfacher zu machen.

Dominanz ist auch eine Entscheidung

Es DARF also gespielt werden, doch will ich einen Aspekt hervor heben, der den Weg abkürzt und nicht unter „lernen“ fällt: Dominantes Auftreten und Agieren ist eine Sache der Entscheidung und meint in Wahrheit kein spezifisch dominantes Verhalten! Ob Sub kniet, die Augen nieder schlägt oder gefesselt ist, erleichtert es zwar manchem Einsteiger, die Situation zu meistern, doch machen solche Befehle für sich genommen noch keinen „Dom“. Die Wahrheit zeigt sich, sobald der innere Plan auf einmal nicht mehr hilft – sei es, weil Sub anders als gedacht reagiert, oder weil Top ganz plötzlich einen „Blackout“ erlebt: was mach‘ ich jetzt, um Himmels Willen?

Der innere Stress, die Angst, zu versagen und nicht „dominant genug“ rüber zu kommen, ist normal, aber definitiv undominant! :-) Aber keine Panik: allermeist merkt Sub gar nichts davon, denn in den „Kennenlern-Sessions“ steckt Sub meist selbst ganz erheblich im eigenen, kreativen Kopfkino und ist bereit, nahezu ALLES, was Top gerade tut oder lässt, als originären Ausdruck seines dominanten Willens zu interpretieren (ich gehe jetzt mal davon aus, dass es zwischen beiden auch tatsächlich „knistert“!).

Die Lizenz, Egoist zu sein

Die Sub macht den Dom, heißt es – und das ist sicher mehr als die Hälfte der Wahrheit. Top muss allerdings die Chance auch ergreifen, die Möglichkeit nutzen, nach „seinem Willen“ zu agieren! Konsensuelle Dominanz ist die Lizenz, Egoist zu sein – natürlich nicht NUR, aber die Einschränkungen will ich jetzt nicht diskutieren, die stehen sowieso bei den meisten Einsteigern MEHR im Bewusstsein als es für die tatsächlich ablaufende Session erforderlich ist. Ob und wie Sub „auf ihre Kosten kommt“, wird sich schon zeigen: das Thema vertagt man besser auf Zeiten und Gelegenheiten des Austauschs jenseits einer Session.

Was also bedeutet „Dominanz als Entschluss“? Ganz einfach: Top besinnt sich auf sich selbst, auf die eigene Lust und auf das, was dieser Lust jetzt dienlich wäre – ganz egal, ob es ins „Standardprogramm“ passt oder nicht. Auf die Frage „Was will ich jetzt?“ gibt es IMMER eine Antwort, und sei es die, dass jetzt mal gar nichts passiert, weil Top eine Pause braucht und auf neue Inspirationen wartet. Solche „Wartepausen“ lassen sich für Sub durchaus erlebnisreich und spannend gestalten, etwa durch Anbefehlen bestimmter Wartehaltungen, durch Blindfolding und „gefesselt liegen lassen“: wenn nichts geschieht, läuft das Kopfkino (was wird er als nächstes tun?) zu Hochtouren auf und kaum eine Sub wird sich langweilen!

Neben den Möglichkeiten, Sub auf spannende Weise in den Wartezustand zu versetzen, kann es auch nützen, in ideenlosen Phasen Sub zur Unterhaltung beitragen zu lassen. Top muss nicht immer „etwas mit Sub machen“, sondern kann auch „machen lassen“: bedienen, strippen, einen Bauchtanz vorführen zur Musik, die er auflegt – und gewiss kommen ihm dann beim Zuschauen weitere Ideen für erotische Dienstleistungen. ODER neue Einfälle bezüglich kleiner oder großer stressiger „Gemeinheiten“.

Wesentlich im Sinne „gefühlter Dominanz“ ist bei alledem die gelassene Zentriertheit des Tops in den eigenen Wünschen als oberstes Regie-Kriterium. Ein Aktiver, dem man den Stress, der Sub ein „gutes Programm“ zu bieten, anmerkt, kommt nicht dominant ‚rüber, auch wenn er alles tut und befiehlt, was Sub von einer „richtigen“ SM-Session erwartet.

Entscheide dich also – und tu, was du willst! :-)

10 Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel, gefällt mir gut und spiegelt auch wider, was ich selber in meinem Werdegang als Top/Dom erfahren habe und erfahre. Man kann nicht lernen, dominant zu sein – aber bei diesem nicht lernbaren „dominant sein“ geht es nicht um Techniken und Handlungsstrategien, sondern einzig und allein um den authentischen Wunsch, das tief empfundene Bedürfnis im sexuellen Rahmen (oder auch darüber hinaus) Macht auszuüben. Das muss da sein, sonst geht nichts.
    Den Rest kann man definitiv lernen, auch wenn es, gerade bei den „soft skills“ nicht immer leicht ist.

  2. Das finde ich einen sehr interessanten Aspekt, StrangeLove:

    „… bei diesem nicht lernbaren ‚dominant sein‘ geht es nicht um Techniken und Handlungsstrategien, sondern einzig und allein um den authentischen Wunsch, das tief empfundene Bedürfnis im sexuellen Rahmen (oder auch darüber hinaus) Macht auszuüben.“

    Damit beantwortest du mir eine Frage, die ich schon lange mit mir herumtrage. Danke schön!

  3. @StrangeLove , @Campanula,

    es gibt da aus meiner Sicht durchaus ein Spektrum verschiedener Varianten dominanter Neigung: für die einen steht der Machtaspekt total im Vordergrund, für die Anderen eher das, wofür die Macht genutzt werden kann. Und nicht immer lässt sich das leicht trennen (z.B. beim Wunsch, zu demütigen/zu beschämen).

    Deshalb spreche ich von „machbarer Dominanz“ im Sinne einer Entscheidung: jede und jeder kann sich darauf besinnen, was gerade der eigene Wunsch, das eigene Bedürfnis ist. Und in einer Situation „mit BDSM-Kontext“ darf das auch sein, ist sogar erwünscht – mehr braucht es nicht, um sich für die Umsetzung der eigenen Ideen und Bedürfnisse zu entscheiden.

    Wieviel „tief empfundene“ Machtgeilheit dahinter steht, mag großen Einfluss haben auf die Art der gewählten Umsetzungen – fürs bloße „dominieren können“ ist ihr Ausmaß nicht so entscheidend.

  4. Danke – du hast das wunderbar beschrieben. Und JA: Ich bin absolut deiner Meinung dass Dominanz erlernbar ist. Es geht gar nicht so sehr um den Schmerz – ja mag dazugehören und ist auch schön – sondern vielmehr darum, das WillenLOSwerden des Partners zu genießen.

    Danke nochmal und liebe Grüße
    V.

  5. Ich finde ja die Arroganz vieler sogenannter Doms, mit der sie ihre „natürliche“ Dominanz vor sich hertragen wie einen schlecht sortierten Bauchladen inzwischen, um es milde auszudrücken, nur noch langweilig.
    Vieles von dem ist nur klischeehaft, gekünstelt und lässt sich schon virtuell mit ein oder zwei kleinen Randbemerkungen so dermaßen aushebeln, dass sie nur noch nackt im Regen stehen, weil die wenigsten dazu in der Lage sind auch zu ihren Schwächen zu stehen, aus Angst, ihnen würde ein Zacken aus der dominanten Krone brechen.
    (Wenige Ausnahmen haben auch diese Regel bestätigt)

    Um wievieles entspannter ist da jemand, der einfach „macht“, weil beide sich diese Option zugestehen wollen, ganz abseits von jeglichen Klischeevorstellungen.
    Teilzeitsub trifft Teilzeitdom :-) that´s it…
    Und bitte ohne Lernprogramm, was Dom alles muss und kann und darf und soll.
    Nur Wunsch und der Willen zum Wollen.
    Lernbar oder nicht? Machbar auf jeden Fall.

  6. Wenn man Dominanz nur im „erotischen“ Bereich haben will. Gebe ich Clu Maria recht. Aber sobald jemand mehr will, eine Person welche „geerdet“ im Leben steht, eben nicht nur im „erotischen“ Bereich dominant ist, hört das Erlernen schon auf. Hier muss dieser Mensch bei sich selber angekommen sein, hier muss er in sich ruhen. Nur dann kann sagen, zeigen und ausstrahlen. Nur dann ist er im Alltag dominant.

    Liebe Grüsse

    daira{M}

  7. Also für mch ist eine „geerdete“ Person, die „bei sich selber angekommen“ ist, wahrlich nicht gleich auch dominant. Im Gegenteil, „Dominanz im Alltag“ bedeutet so jemandem nichts. Wichtig ist allein, von Augenblick zu Augenblick präsent zu sein, sowie das den Notwendigkeiten Entsprechende zu tun – ob das nun reden oder schweigen, führen oder folgen, tanzen oder kämpfen, schlafen oder wachen ist.

    Mit erotisch motivierter Dominanz im BDSM-Kontext hat das m.E. nichts zu tun.

  8. Also – meiner Meinung nach ist dieses „geerdet sein“ durchaus eine grundlegende Eigenschaft, die zum „Führen“ notwendig ist.
    Bevor man für jemand anderes die Zügel übernehmen kann, muss man, denke ich, die eigenen fest in der Hand halten lernen.
    Auch eine „spielerische“ Dominanz erfordert in meinen Augen durchaus eben das Selbstbewusstsein und die gefestigte Persönlichkeit von jemandem, der Machtausübung nicht als Ausgleich für ein stetiges Ohnmachtsgefühl braucht.
    Auch wenn ich nicht glaube, dass das immer wirklich so gegeben ist.

  9. Genau das möchte ich für mich entdecken.
    Gibt es Empfehlungen ? Literatur oder ähnlich?
    Speziell wenn Mann eine Brat führen will?

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