Antwort auf Nachfragen: BDSM ist….

…“ein Übungsfeld für die Zumutungen, Schmerzen, Demütigungen und Machtlosigkeiten, die in der letzten Phase des Lebens drohen“ schrieb ich in einer Auflistung freier Assoziationen zum Thema BDSM, die hier lange schon als „programmatischer“ Text meiner Sicht der Dinge verlinkt ist.

Wie ich nun höre, wirft dieser Satz Fragen auf. Was ja nicht wirklich wundert, denn wer denkt schon an Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, wenn es um eine „erotische Spielart“ geht?

Verständlicher wird die Aussage sicher, wenn ich hinzufüge, dass er sich auf das Erleben der Sub-Seite bezieht: In BDSM-Sessions und Inszenierungen – egal, ob sie nun auf erotische Stunden beschränkt sind oder in den Alltag hinein ragen – konfrontiert Sub sich freiwillig (!) mit negativen Gefühlen verschiedenster Art, die durch die Zumutungen, Forderungen und Behandlungsweisen des dominanten Partners evoziert werden.

Es ist offensichtlich Teil der Neigung, mit solchen Gefühlen in einem sicheren Rahmen „spielen“ zu wollen, worin ich ein sinnvolles Drängen des Unbewussten zu erkennen meine: Ganz abgesehen von den individuell verschiedenen Wurzeln der Neigung kreiert dieses Verlangen ein „Übungsfeld“, wie wir es im Alltag nicht finden, in dem wir uns stets bemühen, im Rahmen des Möglichen die Außenwelt so zu verändern, dass keine negativen Gefühle auftreten:

  • Wenn etwas schmerzt, bekämpfen wir die Ursache, gehen zum Arzt oder nehmen eine Tablette;
  • Wenn ein Job nur noch frustriert und belastet, suchen wir einen neuen;
  • Wenn ein Partner zu egoistisch ist und keine Rücksichten nimmt, trennen wir uns;
  • Produkte, die uns enttäuschen, reklamieren wir und geben sie zurück;
  • Parteien, die unseren Interessen nicht dienen, wählen wir ab

Wer zu alledem nicht fähig ist, gilt nicht als „alltagstauglich“, ist kein mündiger, selbstbewusster Bürger und benötigt vermutlich eine Therapie. Das ist die Normalität, in der wir leben, und wir können glücklich sein, dass wir in den entwickelten Industrie-Nationen heute ein so freies und selbstbestimmtes Leben führen können. Das soziale Netz schützt uns zudem vor der früheren Macht der Familien und Clans, die Wohlverhalten und Gehorsam erzwingen konnten, da es nahezu unmöglich war, sich anderweitig eine Existenz aufzubauen.

All das ist wunderbar und in keinster Weise zu kritisieren. Nur hat es eben zur Folge, dass es unsere psychische „Frustrationstoleranz“ nicht gerade steigert, sondern eher vermindert. Dich stört etwas? Du leidest? Dann schau, woran es liegt und ÄNDERE es! Also richten wir unsere Energien nach außen und ändern die Welt, nicht etwa nach innen, um die Möglichkeiten eines besseren „Ertragens“ zu erforschen.

Stress-Training

Genau das geschieht nun im BDSM-Szenario: der Rahmen vermittelt die nötige „Vorstellung von Machtlosigkeit“, indem die Befehlsgewalt dem dominanten Part zukommt und Sub (im Rahmen vereinbarter Grenzen und Tabus) zu gehorchen hat. Dom versucht nun, Sub zu stressen: physische Schmerzen, Unbequemlichkeiten oder psychische Zumutungen (Schamspiele, Demütigungen etc.) fordern Subs „Leidensbereitschaft“ heraus. Und Sub reagiert darauf nicht mit „Kampf oder Flucht“ wie es alltagstypisch wäre, sondern bemüht sich, den Forderungen zu entsprechen, zu gehorchen und das Zugemutete zu ertragen, im besten Fall mittels der Neigung zu erotisieren. Ein wenig spielerische Renitenz, wie sie häufig vorkommt, belebt das Geschehen und macht es für Dom spannend, ändert aber nichts an der Grundkonstellation.

Für Sub eröffnet sich so ein „Übungsfeld“ der Selbsterfahrung, in dem nicht Macht über die Außenwelt erprobt, sondern Selbstbeherrschung gelernt wird. Das Zugemutete nicht abzulehnen, sondern die Aufmerksamkeit darauf zu richten, wie man sich damit arrangieren, ja womöglich noch Lust daraus ziehen kann, ergibt einen kaum überschätzbaren Erkenntnisgewinn bezüglich der eigenen Möglichkeiten, mit Leiden umzugehen. Allein schon der physische Schmerz verliert einen großen Teil seines Schreckens, wenn die Psyche ihn nicht durch Widerstand und Ablehnung zusätzlich verschärft – ein Phänomen, das Schmerzforscher lange schon erkannt haben, es am eigenen Leibe zu erfahren, ist äußerst beeindruckend!

Widerstand und Ablehnung ist allerdings nicht mal eben „einfach so“ abzulegen – deshalb ist die Vorstellung der Machtlosigkeit und Ausgeliefertheit für viele so wichtig, denn nur durch (vermeintlichen) Zwang erreicht Sub die Ebene der Hingabe an das, was ist: Wenn äußerer Widerstand zwecklos erscheint, bleibt nichts anderes übrig als dem Drachen im Inneren zu begegnen. Wo er dann – immer wieder konfrontiert – seine Zahnlosigkeit offenbart: die unglaubliche Erkenntnis, dass mein Leiden zum allergrößten Teil aus eigenen Bewertungen und Erwartungen entsteht, verschafft eine innere Freiheit, wie sie durch äußere Kämpfe um Veränderungen niemals gewonnen werden kann.

Innere Freiheit

Wer diese Erfahrungen als Sub über längere Zeit bewusst erlebt und reflektiert, wird bemerken, dass BDSM-Szenarien ihre aufwühlende Brisanz verlieren: Der früher so gefürchtete „Drache“ wird quasi zum Schoßhund, mit dem man immer mal wieder ein wenig spielt, weil es als „sportliche Herausforderung“ einfach Spaß macht. Gleichzeitig verschwindet die Notwendigkeit der „Vorstellung von Machtlosigkeit“, die ja immer nur eine frei gewählte Illusion darstellte, um den Zustand der „Schizophrenie“ zu erreichen, der für diese Art Auseinandersetzung mit der eigenen Leidensfähigkeit erforderlich ist. So zu tun, als sei ich machtlos, ist nicht mehr nötig, wenn dieses Szenario seinen Sinn erfüllt hat.

Manche mögen die Brisanzverluste im BDSM bedauern, die ich hier beschreibe. Ihnen gegenüber steht aber ein ungeheurer Gewinn im „realen Leben“: Wer nicht mehr Spielball der eigenen Emotionen ist, nicht mehr automatisch mit „Kampf oder Flucht“ bzw. Feindseligkeiten und Aggressionen auf die Zumutungen des Lebens reagiert, dem eröffnet sich ein weites Feld gelassener Lebensgestaltung, in dem die Energien bewusst im Sinne eigener Werte gelenkt werden können. Nicht zuletzt bedeutet es eine Emanzipation vom „Leiden-müssen“, wenn Dinge geschehen, die ich nicht ändern kann, wie etwa die Schmerzen, Demütigungen und Machtlosigkeiten, die in der letzten Phase des Lebens vielen von uns das Leben zur Hölle machen.

***
Artikel, die ebenfalls dieses Thema umkreisen und vertiefen:

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.