Zuviel BDSM?

Einsteiger fühlen sich gelegentlich überwältigt von den vielen neuen, gleichermaßen faszinierenden und verwirrenden Eindrücken aus der BDSM-Welt. Wer den Schritt gemacht hat, sich innerlich zu den dunklen Sehnsüchten zu bekennen und nun den eigenen Platz, die eigene Lust im Reich der „anderen Erotik“ sucht, hat es wahrlich nicht leicht. Potenzielle Partner und erste Gespielen vertreten IHRE Sicht auf BDSM und wie man es zu leben habe. Hinzu kommen die vielen Foren und Webseiten, auf denen sich schier alles findet, was an Haltungen und Ideologien so denkbar ist. Und gerade das Geschriebene weißt einen hohen Anteil „Virtualität“ auf, sprich: da schreiben Menschen aus ihrem Kopfkino, was sie sich wünschen und erträumen, ohne dazu zu sagen, dass ihr Leben in der Praxis doch ein wenig anders aussieht. Gar nicht leicht für „Neue“, sich da zu orientieren!

Mentale Verstrickungen

Die Frage, ob es ein „Zuviel“ an BDSM gibt, begegnete mir neulich in einem großen Forum der Szene. Die Angst, von dieser Leidenschaft „aufgefressen“ zu werden und den Bezug zum „ganz normalen Leben“ zu verlieren, ist gar nicht so selten. Wer das eigene Erleben wenig reflektiert und sich stark an anderen, z.B. den ersten „Spielpartnern“ orientiert, muss ein gesundes Selbstbewusstsein und ein Gespür für das, was einem gut tut und was nicht, erst entwickeln. Gar nicht so einfach, wenn man auf der Sub-Seite steht und sich vor allem darum bemüht, diese Rolle „gut“ auszufüllen!

Das Gefühl des Überdrusses setzt dann ein, wenn die aktuelle Praxis mehr verstört und belastet als beglückt. Aus meiner Sicht hat das nicht unbedingt etwas mit „Lustlosigkeit“ zu tun. Es handelt sich vielmehr um das geistige Festkleben in Denkschubladen, wie BDSM zu sein habe und erlebt werden müsse. Zerrissen zwischen Kopfkino und äußeren Einflüssen will man alles richtig machen, anstatt mit klarem Blick zu erforschen, was einem in der Realität Lust bereitet. Wobei ich unter „Lust“ nicht allein die sexuelle Lust verstehe, sondern all das, was rund um die BDSM-Praxis genossen werden kann – also auch den Schmerz, die psychischen Demütigungsspiele und manches mehr.

Ein Beispiel:

Wenn ich mich als Sub immer nur passiv abwartend verhalte und alle Initiative Top überlasse, weil ich mir anderes gar nicht vorstellen kann, dann hab‘ ich genau darauf bald keine Lust mehr. Niemand ist ausschließlich passiv und kein Top dieser Welt trifft im Feld der vielen Möglichkeiten immer genau das, was Sub ersehnt. Kompliziert wird die Lage durch das BDSM-Paradox: Sub träumt ja gerade davon, dass ihr Dinge zugemutet werden, die sie (vermeintlich…) NICHT wünscht. Sub will Machtlosigkeit und Dominanz des Partners spüren, möchte gefordert und „gezwungen“, aber auch gehalten, gefördert, getröstet werden. Aus dieser „Botschaft der Neigung“ entsteht das Szenario von Herr und „Sklavin“, der Traum von der totalen Hingabe und vollständiger Auslieferung, am liebsten 24/7. Es soll in diesem Arrangement geschehen, was Dom wünscht und wann er es wünscht – und Sub soll sich mit dem Wünschen zurück halten, sonst ist sie eine „Wunschzettelsub“!

Dies ist ein Stück Neigungsideologie, das als solche sehr verbreitet ist und manche Sub in schwere Selbstzweifel versetzt. Je nachdem, wie ihr erster Dom es anstellt, das in die Praxis umsetzen zu wollen, ist es leicht oder schier unmöglich, das Neigungserleben ins „normale Leben“ zu integrieren. Sub kann sich auch selbst behindern, indem einer Vorstellung nachgeeifert wird, die einfach nicht alltagstauglich ist. Top wird oft genug zum romantisch verbrämten Super-Dom, Pappi und Guru stilisiert, der ihr den Himmel auf Erden bereiten soll. Klappt das nicht wie gewünscht, ist evtl. gleich der nächste dran. Klar, dass diese Suche schnell „zu viel“ werden kann!

Auch der dominante Partner kann sich in den eigenen Vorstellungen, „was es heißt, ein Dom zu sein“ verfangen und seines Lebens nicht mehr froh werden. Getrieben von Subs Erlebnisgeilheit versucht er, den Ansprüchen zu genügen, anstatt auf sich selbst zu achten und wirklich das zu erforschen, was die eigene Lust ausmacht – erst von da aus lässt sich die Schnittmenge mit Subs Vorlieben finden, die in einer glücklichen Beziehung den gemeinsamen Bestand ausmacht, von dem aus das Spiel des „Grenzen erweiterns“ erst wirklich beglückend ist.

Wahrheit und Spiel: Bloß kein Theater!

Dass es so viele Facetten im BDSM gibt wie Paare, die ihre Neigungen ausleben, vermittelt sich Einsteigern erst nach und nach – und nur denjenigen, die mit wachen Augen durch die Welt gehen und sich gerne mit anderen austauschen. Die erste Phase innerer Auseinandersetzung mit der Praxis ist aus meiner Erfahrung oft zentriert um die Begriffe „Wahrheit, Echtheit, Realität“ – DANACH wird gesucht und der verbreitete Sprachgebrauch vom „Spiel“ wird entrüstet abgelehnt. Auch mir ist es zunächst so gegangen, obwohl ich wirklich nicht auf den Kopf gefallen bin:

Zu Beginn meiner aktiven Zeit erschien mir alles als voll daneben, was mich irgendwie an „theaterhaft“ erinnerte – es sollte alles total ECHT und ERNSTHAFT und TIEF sein. Hochmütig schaute ich auf die „Spieler“ herab und merkte nicht einmal, dass ich mich selber auf dem Gipfel meines persönlichen „BDSM-Theaters“ befand. Ich lebte einen Aspekt meiner Persönlichkeit aus, den ich lange nicht hatte leben lassen und der deshalb gewaltige Intensität und Strahlkraft gewann, als ich mich ihm hingab: Wow, ich bin sein „Eigentum“, er macht mit mir, was er will, ich SCHENKE mich ihm voll und ganz – wie wunderbar!! Ich hielt diesen Aspekt für DAS GANZE, dem ich mein Leben mit Freude unterordnen wollte. Eine Zeit lang war es wie ein Rausch, der meine Selbstwahrnehmung und geistige Klarheit vernebelte. Irgendwie war mir das auch bewusst, denn in dieser Zeit schrieb ich nicht öffentlich über BDSM, obwohl ich sonst immer gern über alles schreibe, was mir wichtig ist.

Der Rausch ließ dann nach einem knappen Jahr wieder nach: ich kam ‚runter von Wolke 7. Spürte wieder all meine anderen Seiten, zum Beispiel meine gewöhnliche „Alltagsdominanz“, meine Kreativität, die nicht mehr bereit war, demütig und anspruchslos zu warten, ob Dom das Ersehnte nun endlich mal durchzieht. Und am Schnellsten hatte ich gemerkt, dass ich nicht wirklich daran interessiert bin, mein gesamtes Leben dem Reich des Erotischen bzw. der Beziehung zu einem Mann (egal wie sehr geliebt, verehrt, begehrt…) zu unterstellen – also nix 24/7! Zumindest nicht so, wie es sich die Anfängerin denkt, sondern allenfalls so, wie es die meisten Paare real praktizieren, nämlich als prinzipiell jederzeit mögliche „Aktualisierung“ der Hierarchie bei ansonsten bestehender „gleicher Augenhöhe“ (wobei Dom tunlichst darauf achtet, Sub nicht allzu drastisch in ihrem Alltag zu stören).

Erst nach Abklingen des ersten „domantischen Rausches“, fand ich zu meinem eigenen authentischen BDSM – immer wieder neu ausexperimentiert mit meinem Partner, der genau wie ich nicht an Schubladen festhält. Ich erlebe Nähe, Distanz, Tiefe, Intensität – und hab‘ kein Problem mehr damit, diese Ebene als „Spielen“ zu bezeichnen. Die spielerische Seite des Lebens ist die SCHÖNSTE Seite, die es gibt – und wer wüsste nicht, dass zum Beispiel Kinder voll und ganz in ihrem Spiel aufgehen können?? Da sagt niemand, ihre Gefühle seien „nicht echt“ oder irgendwie „unernsthaft“.

Echtes THEATER war gewesen, was ich ZUVOR gelebt hatte, als ich mich selbst auf einen kleinen Teil meines Erlebens reduzierte und als vermeintliches „Eigentum“ alles tat, um „eine gute Sub zu sein“.

Das „zuviel“ wahrnehmen

Noch einmal zurück zur Frage nach dem ZUVIEL: Es gibt durchaus Phasen, da fühl ich mich insgesamt recht Erotik-fern, dann sind eben mal andere Dinge dran. Das zu akzeptieren und mich auch danach zu richten, musste ich in der BDSM-Praxis erst lernen. Schließlich ist meine Sub-Seite in der Lage, aus fast jeder „Zumutung“ Lust zu ziehen, auch wenn ich erstmal wenig oder gar keine Lust auf Action habe. Und das klappt ja dann meist auch… wie also stelle ich fest, wann ich mich wirklich überfordere? WIEVIEL und WIE OFT ist genug bzw. zuviel? (Ich spreche jetzt von Sessions! Wenn ich mich meiner Arbeit und meinen anderen Spielfeldern zuwende, bin ich eh auf einem andern Stern).

Mittlerweile kann ich das besser einschätzen: wenn das Kopfkino komplett verschwindet und ich vor allem erinnere, wie ANSTRENGEND das alles ist, dann weiß ich, dass es Zeit ist, die gemeinsame Freizeit mal wieder anders zu füllen. Das geht natürlich nur, wenn der Partner mehr ist als ein bloßer „Spielgefährte“. Sonst findet man sich leicht in der peinlichen Situation vor, zu entdecken, dass es außer „dem einen“ gar keine Gemeinsamkeiten gibt.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.