Vom Erleben an der Grenze

„Im Yoga sagt man doch, man soll seinen Körper achtsam behandeln. Tue ich das, wenn ich meine masochistische Neigung auslebe? Es tut weh, wenn mir jemand Schmerz zufügt, aber ich mag es – mag aber mein Körper das auch?“

Die Frage, von einer Frau gestellt, die genau wie ich Yoga, aber auch SM praktiziert, hat mich im ersten Moment verblüfft. So „über den Kopf“ hatte ich nie versucht, einer Yoga-Moral zu folgen und mich also durch sie auch nicht in meinem Neigungserleben behindert gefühlt. Und doch trifft die Frage ins Schwarze, denn mit ihr steigt man mitten hinein in die Problematik der Grenzwanderungen, die viele SM-Freundinnen und Freunde gerne unternehmen.

Es ist nämlich gar nicht so leicht, als Passive den Punkt auszumachen, an dem die „Grenze des Erträglichen“ erreicht ist. Wer mit Schmerzen jenseits des „geilen Lustschmerzes“ experimentiert, kann ja diesen Schmerz nicht mehr – wie man es im Alltag tut – als Alarmsignal und Stoppschild benützen. Zudem geht auch ein Schmerz, den man einen Moment lang als schier unerträglich empfindet, schnell vorbei. Die Wirkung eines Rohrstockschlags entfaltet sich im Nachhall, dann setzt sogleich die Entspannung ein, der Aktive macht eine kleine Pause und schon ist der Gedanke „genug! Das halte ich nicht aus!“ wieder vorbei. Wie kann ich da eine Grenze erkennen, an der wirklich Schluss sein muss?

Um zu erkennen, dass ICH den Schlusspunkt setze und auch setzen MUSS, musste ich erst mal meine romantische „Schmachtsubphase“ überwunden haben. So nenne ich die Zeit meiner Anfänge, als ich noch glaubte, es gehe einzig darum, meinen geliebten und bis ins fast Übermenschliche idealisierten Partner machen zu lassen und mich dabei an meiner „Machtlosigkeit“ zu berauschen. Ich schwelgte in extremem Kopfkino, fühlte mich als sein „Eigentum“, wollte, dass er „meine Grenzen erweiterte“ und was dergleichen typische Erwartungen sind. Zum Glück war er ein verführter Vanilla, der mir im Grunde gar nicht weh tun wollte. Er stand mehr auf „Sex-SM“ und hatte kein Verlangen nach brisanten Grenzerfahrungen, nach denen es mich so sehr gelüstete.

Als ich zwei Jahre später dann einen Partner mit sadistischer Ader gefunden hatte und die geistigen Vernebelungen des „romantischen DS“ von mir wichen, begegnete ich der Frage nach der Grenze in aller Schärfe. Mit ihm konnte ich endlich erleben, wovon ich lange nur geträumt hatte, doch stieß ich dabei auf Probleme, die ich so nicht erwartet hatte. In den Sessions lebte ich meinen Trotz aus, war recht „renitent“ oder versank schweigend in mich selbst, ganz konzentriert auf das sinnliche Erleben. Wenn es heftig wurde, dachte ich zwar übers Stoppwort nach, doch meine trotzigen (oder auch submissiv-geilen) Emotionen verhinderten, dass ich es ernsthaft in Betracht zog: eine Indianerin kennt keinen Schmerz! Und nein, nie im Leben würde ich um Schonung betteln… ich hielt aus, bis er die Grenze SEINER Lust erreichte und war dann irgendwie enttäuscht, dass er einfach aufhörte. Mit hoch geputschten Gefühlen musste ich zusehen, wie ich wieder ‚runter kam – irgend etwas stimmte nicht, aber was? Als immer noch Anfängerin wusste ich nichts von der Dynamik einer Session und dass ich als Sub dabei nicht komplett passiv bleiben darf, wenn es einen „Flow“ geben soll, einen gelungenen Tanz für zwei durch Lust und Schmerz, Wut und Hingabe, Trotz und Zärtlichkeit.

Von der Katharsis zur reinen Resonanz

Aber ich beobachtete genau, beobachtete mich selbst, kreiste immer wieder, wenn es heftig wurde um die Frage: Soll ich das jetzt stoppen? Wo ist die Grenze? Bis wohin ist es sinnvoll, abzuwarten, dass etwas eintritt, von dem ich nicht mal genau weiß, was es ist?
Da ich ihn immer weiter provozierte, kamen Sessions, in denen „es“ endlich eintrat. Ich war so erschöpft, dass ich den Schmerzen nichts mehr entgegen zu setzen hatte und brach endlich mal in Tränen aus. Im Alltag weine ich nie und mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr mir dieses Gefühlsspektrum gefehlt hatte! Ich erlebte „Durchbrüche“ in die innere und äußere Weichheit und ich lernte, dass es an mir liegt, an meinem eigenen Denken und Verhalten, ob ich diese Ebene nur schwer (als “Durchbruch“) erreiche, oder ob ich sanft und organisch hinein gleite, indem ich innere Widerstände los lasse und „reine Resonanz“ werde. Ich erkannte, dass es verschiedene Ziele einer Session gibt: im Reich des Lustschmerzes geht es in Richtung Geilheit und Orgasmus, doch das, was ich praktizierte, endete in Katharsis.

Höher, schneller, weiter?

Nun ist es aber unmöglich, jede Woche eine solche Katharsis zu erleben. Da ich nicht mehr so sehr in den Trotz hinein ging, mich nicht mehr verhärtete, sondern weitestmöglich entspannte, standen wir wieder ohne Hinweis auf den Schlusspunkt da! Mein plötzliches weich werden und in Tränen ausbrechen, wo ihn vorher noch die „stolze Sub“ herausfordernd beschimpft oder verstockt in sich hinein geschwiegen hatte, war klar wahrnehmbar gewesen. Es war für ihn der Punkt, die Peitsche beiseite zu legen und mich sanft und zärtlich „aufzufangen“, wie man das gerne nennt. Das aber kam nun gar nicht mehr vor: mal schluchzte ich auf, ein paar Tränen flossen, dann beruhigte ich mich wieder. Ich lachte ihn aus, versank in Schweigen, zeigte meinen Schmerz, beschimpfte ihn und grinste ihn dann doch wieder an oder machte eine trockene Bemerkung.

Auch ich war ohne Kompass, hatte keine Prüfsteine oder Kriterien, wann es eigentlich GENUG sein sollte. WO macht man Schluss, wenn es nicht der Schmerz ist, an dem wir uns orientieren??? Wenn eine „Katharsis“ gar nicht mehr drin ist, weil ich innerlich zu weich und flexibel geworden bin? (sie also gar nicht mehr „nötig“ ist). Sollten wir etwa einen Gang höher schalten?? Höher, schneller, weiter – vor mir tat sich ein Abgrund auf, der allerdings gar nichts Verlockendes mehr hatte.

Mitgefühl mit dem Physischen

Als ich merkte, dass es da eine Abstumpfung, einen Sog Richtung „höher schneller weiter“ gibt, wurde ich mir des Mitgefühls gewahr, das ich für meinen Körper empfinde. Ich will ihm nichts wirklich Schlimmes antun, will ihn nicht bleibend beschädigen und auch nicht endlos dafür missbrauchen, psychischen Spektakeln nachzujagen, die gar kein MEHR an Lust oder Erkenntnis mehr bringen, sondern immer nur „mehr vom selben“. (Mein Partner will das auch nicht, aber wie soll er wissen, ab wann es kritisch wird, wenn ich es nicht mal weiß?).

Ich FÜHLTE also Achtsamkeit und Erbarmen mit meinem Körper. Es war kein moralisch motiviertes Denken, sondern ein Gefühl ähnlich dem, wie man auch ein Baby schützen will.
Dieses Gefühl wurde mir nun zur „Linie“ im Umgang mit SM-Quälereien: ich vermeide Dinge, die bleibende Schäden hinterlassen und stressige Haltungen, bei denen ich wegen Falschbelastung um meine Wirbelsäule fürchten muss. Dank Yoga verfüge ich über ein intensives Körperbewusstsein, sowohl was die Wirkungen von Doms Zumutungen angeht, als auch bezüglich der ausgeschütteten Chemie (Adrenalin, Endorphine). Er gestaltet die Sessions so, dass ich erst „im Körper ankommen“ kann, sprich: er verordnet oder unternimmt Dinge, die mich anstrengen, die ein Eintauchen in intensive Sinnlichkeit erzwingen, auf dass mein Alltagsleben als Vor-dem-Monitor-Hockerin von mir abfällt.

Achtsamkeit und Intuition

Wenn ich eine Situation auf einmal als grenzwertig erlebe, mir also unsicher bin, ob DAS jetzt noch ok ist oder vielleicht doch zuviel, bin ich sehr achtsam und wach. Bevor ich durch zu langes Zuwarten und Aushalten womöglich Beschädigungen riskiere, bremse ich Dom lieber ein wenig aus, indem ich deutlich meine Leiden zeige, bettle, verhandle oder Alternativen anbiete, auch wenn mein Neigungs-Ich lieber ausharren und „dran bleiben“ würde. Mittels Verhaltensweisen also, die ich in meiner Anfangszeit aus Stolz nicht über mich gebracht hätte, was er auch weiß und sehr schätzt. Es ist gut für den Aktiven, zu wissen, dass Sub ihn eine drohende physische Überforderung nicht erst wissen lässt, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das heißt aber auch, dass ich mich schon mitteilen muss, noch bevor ich selbst ganz sicher weiß: JETZT ist es zuviel!

Durch Achtsamkeit, Nachdenken und viel Kommunikation (in und außerhalb der Session) lassen sich durchaus schadensfreie und Risiko-arme „Behandlungen“ finden, die dennoch so intensiv sind, dass meine masochistische Ader voll auf ihre Kosten kommt und auch Dom seine Lust an der Sache ausgiebig genießen kann. Im Grunde sind SM-Szenen den Yoga-Übungen nicht unähnlich: man sucht die eigenen Grenzen auf, verweilt dort ein wenig und erlebt, wie sie sich dadurch erweitern. Nur eben mit dem brisanten Unterschied, dass die Orientierungsfunktion des Schmerzes beim SM nicht zur Verfügung steht, da das Schmerzerleben ja „Lust-besetzt“ ist – sei es nun physisch oder psychisch. In der Yoga-Übung gehe ich bis zur Schmerzgrenze und verharre genau DAVOR – im SM gehe ich mindestens einen Schritt weiter. Wie merke ich also, wann „aus Vernunftgründen“ Schluss sein muss?

Mit dem rationalen Verstand lässt sich kaum in allen Fällen eine Grenze definieren, die so konkret ist, dass ich sie im Erleben an irgend welchen Zeichen erkennen könnte. Aber es kommt der Moment, da weiß ich einfach: jetzt ist es Zeit, etwas zu sagen, einen Gang herunter zu schalten, eine Pause zu machen, sonst KÖNNTE die Sache schief gehen. Wobei es ganz klar ist, dass dieses Gefühl, diese Intuition dann nicht von der Sub kommt, die gerne mehr und weiter will (oder sich auch mal vor dem nächsten Schlag fürchtet), sondern von der wachen Beobachterin hinter all diesem Erleben, die immer auch darauf schaut, dass der Körper nicht mutwillig Schaden nimmt.

6 Kommentare

  1. genau hier sehe ich das Problem,
    zu viele gerade Frauen glauben , nach dem sie fast sämtliche esoterischen
    Selbstfindungprozesse durchlaufen ihr Glück im BDSM zu finden, ohne wirklich diese Neigung zu haben. Weder Schwul noch lesbisch sein hat etwas mit Sinnfindung zu tun sondern mit Neigung.
    Durch die zunehmende Mainstreamisierung des BDSM , meinen immer mehr Menschen ihre Selbsterfahungs-oder Sinnfindung hier zu erreichen.
    Seltsamerweise lassen sie von diesem Vorhaben nicht ab, selbst dann wenn ihnen längst klar sein sollte, dass dies nicht der richtige Weg ist.
    BDSM ist ein Bekenntnis , keine Suche !
    Lieben Gruss
    Nadar

  2. @Nadar

    Für dich ist BDSM ein Bekenntnis? Nun, wunderbar, genieße es und sei glücklich damit! Für mich ist BDSM dagegen Abenteuer, sinnliches Genießen, Experiment, körperliche und geistige Herausforderung, Grenzerfahrung, Selbst- und Weltentdeckung, psychisches Mysteriendrama, Meditation, auch mal ein Rausch, z.B. in einer Flag- oder Bondage-Session, Spiel mit der eingen Psyche und der des Partners – aber ganz gewiss kein „Bekenntnis“. Das klingt nach Weltanschauung oder gar Religion und ist mir fremd. Ich schaue die Welt nur noch ganz direkt an, Phänomen für Phänomen – ohne Ideologie zwischen mir und meinem Erleben. Und hier schreibe ich dann drüber…

    Was ich im BDSM als „Neigung“ bezeichne, hat mir zwar von Kindheit an „einschlägige Fantasien“ beschert. Diese waren allerdings nie so beherrschend, dass sie mir zum Problem geworden wären, wenn man mal von der Scham über das „unfeministische Kopfkino“ absieht, die ich in die ich in den 70gern und 80gern durchaus empfand. Mit diesen Fantasien Frieden zu schließen, war allerdings noch lange kein Grund, mich Richtung BDSM zu orientieren. Das kam erst viel später, als ich gelernt hatte, wie es geht, mit Männern nicht in Machtkämpfen zu versacken, sondern sie zu genießen. Ab da stand der Weg offen, mal zu schauen, was es mit den bisher nicht ausgelebten Vorstellungen so auf sich hat…

    Ich erzähle das so ausführlich, um zu vermitteln, warum „Bekenntnisbedarf“ für mich kein Thema ist: ich hatte vom Start weg eher Forschungsbedarf.. (was mich alles interessiert hat, kann man in diesem Blog nachlesen).

    Sei gegrüßt

    Clu

  3. 23.03.2007 Ich halte dafür, daß Menschen nicht von Geburt an dominant oder devot sind sondern es erst durch bestimmte Schlüsselerfahrungen werden; das BDSM-Erleben wird u.U. ein Teil der persönlichen Entwicklung / Lebensgeschichte, wie es bei Betrachtung dieser Webseite für meine Begriffe gut deutlich wird. Bekenntnis im nichtreligiösen Sinn ist diese Webseite, weil sie sich hauptsächlich mit BDSM beschäftigt und Clu Maria mit ihren Betrachtungen eine Art Psychohygiene verbindet.
    In dem Sinne, wenn ich anderen von meinen Erfahrungen berichte, wie das hier der Fall ist, bekenne ich mich zu bestimmten Strukturen – hier BDSM anstelle von „normalem Sex“. Im übrigen kann ich bei den hier gelesenen Texten keine „Suche“ feststellen, sondern eine persönliche Entwicklung, und ganz gewiß nicht das Mitschwimmen auf einer Modewelle. Fred

  4. Auch wenn’s jetzt vielleicht etwas gemein klingt: der Text erinnert mich an die Ergüsse einer verkopften Oberstudienrätin die aus dem beinahe-Orgasmus des letzten Samstags einen halbstündigen Vortrag in der Feldenkreis- Selbstfindungsgruppe machen kann. Die andere halbe Stunde reflektieren die Diskussionspartner mit ernsthafter Miene was sie dabei empfunden haben und dann gehen sie nach Hause mit dem Gefühl, auf der persönlichen Entwicklung ein großes Stück vorwärts gekommen zu sein.
    Viel Kopf, wenig Körper.
    Wenn es so gut für Dich ist, dann mach halt so weiter. BDSM ist *auch* ein hervorragendes Instrument der Selbstfindung. Sozusagen Yoga für Ungeduldige.
    Aber es gibt noch unendlich viel mehr Gründe dafür.

  5. Es sind deine Assoziationen, für die kann ich nichts. Wie ich BDSM erlebe, hab ich in der Anwort an Nadar schon geschrieben.

    „Yoga für Ungeduldige“ – damit hast du allerdings recht, das KANN BDSM sein. Allerdings nur für Menschen, die vor Innenschau und Reflexionen nicht zurück scheuen, sondern die „geistige Lust“ ebenso schätzen wie die der anderen Ebenen.

  6. Durch den Thread in der SZ – deine Verlinkung – bin ich heute hier wieder her gekommen, um weiter zu lesen, so auch diese Seite hier zu lesen.
    Ich möchte meinen Respekt zum Ausdruck bringen, liebe Clu.
    Selten trifft man so (selbst)reflektierende Menschen, wie dich.
    In vielem – ich würde gar in allem sagen – finde ich mich wieder oder kann es aus dem Verstehen heraus „abnicken“.

    Es tut mir gut, zu lesen, wie andere Menschen mit der Grenzüberschreitung umgehen, mit der Selbstfahrung und der Entwicklung, die manchmal auch an die Substanz geht.

    Was mich außerdem beeindruckt, ist, wie du deine selbstkritische Sicht beschreibst – einstige Fehlwahrnehmungen, – in Anfangszeiten.
    Ich mag es, wenn Menschen – nachdem sie einen gewissen Reifeprozess hinter sich haben, über ihre anfänglichen Stolperein berichten.

    Danke für diese Seite. Wird Zeit, dass ich sie bei mir als Empfehlung ein/unterbringe :-)

    herzlichst ines

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