Geistige Fesseln: vom Standardprogramm im Kopf

Immer wieder staune ich darüber, wie behindernd das „Standard-Programm“ im Kopf doch sein kann – und das sogar wenn man von sich glaubt, es lange schon auf dem Müllhaufen der persönlichen BDSM-Geschichte entsorgt zu haben!

Was ich damit meine? Nun, das Konglomerat aus Regeln und Verhaltensweisen, aus Erwartungen und Pflichten, das in unzähligen Foren und Webseiten, in Büchern und Gesprächen tausendfach kolportiert wird: Dom sagt an, Sub gehorcht, Dom ist aktiv, Sub ist weitgehend passiv, agiert nur auf Befehl. Sub fordert nicht und kritisiert nicht, das könnte ja als „Topping from the Bottom“ ankommen und Dom zum bloßen „Wunscherfüller“ degradieren. Dom macht das Programm, Dom inszeniert die Session, von Dom gehen alle Aktivitäten aus, Sub verzehrt sich allenfalls in Sehnsucht und Verlangen, zeigt aber nie ihre Enttäuschung, wenn nicht geschieht, was sie sich ersehnt – schließlich soll doch ER voll und ganz Herr der Lage sein und nicht etwa von Sub in Bewegung versetzt werden.

Ein Feld für die Neigung

Dieses „Standardprogramm“ wurzelt im Wunsch, der Neigung ein Feld fürs Ausleben zu erschaffen und ist von daher ganz in Ordnung. Wie soll man Dominanz und Unterwerfung erleben, wenn Dom nicht fordert und Sub nicht gehorcht – zumindest „in der Regel“? Wieviel „DS“ ein Paar praktiziert, wie weit es in den Alltag hinein reicht, unterscheidet sich: die einen wollen es möglichst umfassend und total, die anderen beschränken „Doms Macht“ auf die Session und den Weg dahin. Letztlich kommt es einzig darauf an, welche Dosis ein Individuum braucht, um das Submissive bzw. Dominante zu genießen, und darauf, den passenden Partner dafür zu finden, der ähnlich tickt.

Nun, ich hab‘ lange schon einen wundervollen Partner, mit dem alles möglich ist, was uns auch immer einfallen mag. Seit gut zwei Jahren leben wir SM in der Art des „phasenweise aktualisierten Machtverhältnisses“: theoretisch darf Dom alles zu jeder Zeit, praktisch wissen wir, dass wir hauptsächlich am Wochenende genug Zeit dafür haben. Normalerweise kommunizieren wir auf gleicher Augenhöhe, reden gern und viel über unser Erleben und spinnen auch gemeinsam neue Möglichkeiten aus. Kleine Gesten und spontane Zugriffe erinnern mich gelegentlich auch im Alltag, dass es eine andere Ebene gibt – alles ist wunderbar, wie es ist! Die anfänglichen Verhaltensprobleme sind lange keine mehr: ich versuche nicht mehr, eine „gute Sub“ zu sein, indem ich z.B. niemals Unmut oder Ärger zeige, und ich verberge nicht mehr, wenn mir was gar nicht gefällt. Wenn mir danach ist, provoziere ich ihn – soll er doch sehen, wie er damit umgeht, ich bin gespannt darauf! Meine „Aufgabe“ als Sub ist es, auszuprobieren, wie weit es mir gelingt, seine Zumutungen und Anforderungen zu erotisieren – sein Job ist es, sich durch meine Reaktionen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und „sein Ding zu machen“.

Andere Wege in den Sub-Space

Und doch gibt es immer wieder Momente, da bemerke ich, dass ich keineswegs frei vom „Programm-Verhalten“ bin – und zwar in Augenblicken, wenn „ganz spontan“ etwas anderes passiert und erstaunlich positive Folgen hat. So saßen wir neulich Samstagnachmittag auf dem Sofa, hatten beide eine anstrengende Woche hinter uns und ich hatte beiläufig erwähnt, dass ich gerade die Tage bekomme. Zu meinem Erschrecken deutete er daraufhin an, dass ihm heut‘ nicht unbedingt nach Äktschn zumute sei – und ich hätte doch SO GERNE eine spannende Samstag-Session erlebt!

Ohne darüber nachzudenken zeigte ich meine Enttäuschung – kein Gedanke an „brave Sub nimmt hin und fordert nicht“ hatte Zeit, sich dazwischen zu schieben. Zu meiner Freude motivierte ihn das, ich spürte, wie er in seine Dom-Seite (der heiß begehrte „Gönner“) glitt und die Atmosphäre schnell erotisch knisterte. Die „bettelnde Sub“ hatte offenbar auch ihren Reiz… na so was! Auch ich fühlte mich gleich sehr viel „dienstbereiter“, da ja drohte, dass gar nichts geschehen würde. Mein Wille, seiner Lust zu dienen, wurde deutlicher als zu anderen Gelegenheiten, in denen er „fordernd“ beginnt und ich eher die Renitente gebe. Meine submissive Seite war ausgesprochen leistungswillig und „Hingabe-geil“, so dass ich im Verlauf der nun folgenden wundervollen Session erstaunlich leicht aus dem Sub-Bewusstsein heraus kommunizieren konnte. Ihn zum Beispiel heftig anbetteln, mit einer allzu nervigen Zumutung doch bitte bitte aufzuhören – und dafür auch gleich Alternativen anbieten, an denen er evtl. genauso Gefallen finden könnte. Normalerweise bringt er mich fast nie dazu, um etwas zu bitten, denn ich bin eine „stolze Sub“, die zur Not ihren Unmut zeigt, aber nie um Erleichterung bettelt. Und „Alternativen anbieten“ kommt auch eher nicht in Betracht, denn mal angenommen, er folgt meinen Vorschlägen, erlebe ich ihn ja vielleicht nicht mehr als dominant, sondern als initiativlosen Wunscherfüller.

Alles Quatsch, wie sich gezeigt hat! Das sind die geistigen Fesseln des Standardprogramms im Kopf! Es geht nicht darum, den VORSTELLUNGEN von einer Rolle (und dem dazu passenden Verhalten) zu genügen, sondern aus dem Augenblick heraus genau das zu tun und auszudrücken, wonach einem zu Mute ist! Und in diesem Fall war ich so submissiv wie selten, gerade in meiner „fordernden“ Art, die auch mal die Initiative ergreift, das „Programm“ zu verändern.

Und ja, Dom hatte ein Einsehen und ist meinem Vorschlag gefolgt – allerdings auf eine Art und Weise, dass ich mir schon bald wünschte, etwas anderes vorgeschlagen zu haben! :-) Dabei amüsierte er sich noch darüber, dass ich doch nur kriege, wonach ich verlangte – ein klasse Dom! Ich schmolz dahin und es wurde noch eine lange und supergeile Session, in der auch manches geschah, was wir SO noch nie erlebt hatten.

Die Regie komplett Dom zu überlassen und keine eigenen Initaitiven zu starten, ist ein Fehler, das erkenne ich mehr und mehr. Es degradiert den Top zum Arbeits-Dom, zum unermüdlichen Programm-Macher und Umsetzer, während Sub sich passiv zurück lehnt und konsumentenhaft „bespielen“ lässt. Gehorchen, ertragen, genießen, loslassen – das alles ist ja wunderbar, doch als einzige Verhaltensweise für Dom auf Dauer recht anstrengend und nicht immer verlockend. Warum soll er nicht zum Beispiel Sub mal Vorschläge machen lassen, wie sie seiner Lust dienen könnte?? (drei Vorschläge für die sexuelle, drei weitere für die sadistische Lust, Bedenkzeit solange, bis der Kaffe fertig ist) Daraus kann ein ganz eigenständiges „Demütigungs-Spiel“ entstehen, das Sub dazu zwingt, als Bittstellerin „solche Dinge“ als eigene Wünsche zu vertreten – früher hätte ich das nicht zustande gebracht, heute finde ich es reizvoll und erregend.

Was für ein langer Weg es doch ist, sich vom Standardprogramm im Kopf zu befreien! Und jedes mal öffnen sich Türen zu weiteren Landschaften der Lust, wenn wieder ein Stück davon erkannt und abgelegt ist.

6 Kommentare

  1. Lange habe ich nach den richtigen Worten für IHN gesucht; glaubte, ihm meine Sicht – mein Empfinden, das sich doch so sehr vom Klischeedenken abhebt, welches in jedem Forum oder Chat anzutreffen ist, vermitteln zu können.

    Du hast eine wundervolle Art das andersartige Empfinden in Worte zu fassen, ohne in’s Übliche zu verfallen…und! ER brachte mich zu Dir ;) Ich lag wohl doch nicht so ganz falsch in meiner Wortwahl :)

    Danke Dir – ich werde noch oft Deine Gedanken teilen kommen…

  2. Hallo Clu!

    Danke für deine tollen Beiträge! Ich finde mich oft darin und ebenso oft etwas Neues, Spannendes! Man merkt deinen Texten an, dass sie aus dem Erlebten schöpfen und nicht Kopfkino sind. Davon gibt es genug in den Foren, das ist nicht hilfreich!
    Ich hoffe auf weitere neue Texte, wenn es wieder etwas Interessantes gibt! Ich lese auch die alten Beiträge immer wieder einmal.
    Liebe Grüße Briseis

  3. Hi,

    mir geht es ebenso. Wenn ich als Sub nicht ab und zu die „Initiative“ ergreife, wäre es zu mancher Session nicht gekommen.

    Warum soll der Sub nicht vorschlagsberechtigt sein? Ich kenne keinen vernüftigen Grund.

    Sich gegenseitige mit Ideen zu versorgen ist für mich eine ganz wichtige Komponente. Es wäre für mich furchtbar nur der Dom dieses Feld zu überlassen; die Dom garantiert überfordert.

    Welche Idee davon zur Umsetzung kommt, liegt dann tatsächlich bei der Dom. Vielleicht schon heute oder erst in einem Monat? Da muss ich mich wohl dann in Geduld üben – eine sehr gute Übung für meine Ungeduld.

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