Erlebnisebenen einer Session: der Körper

Dominanz ist die Kunst, Subs Erleben zu gestalten: psychisch, geistig und körperlich. Das ist eine hohe Anforderung, die dem Aktiven einiges abverlangt. Es reicht nicht, eine Reihe von „Praktiken“ am willigen Partner zu vollziehen, um ein erotisches Gipfelerlebnis zu kreieren – sonst würden Menschen mit einer masochistischen Ader ja schon beim Zahnarzt glücklich werden.

Manchmal träume ich davon, einen „Session-Baukasten“ zu schreiben, der „alles Mögliche“ umfasst: konkret genug, um zu inspirieren, aber auch abstrakt genug, um zu verstehen, was die einzelnen Aktionen bewirken, so dass man „aus dem Nichts“ bzw. aus eigenen Ideen eine stimmige Session komponieren kann. Leider ist dieses Vorhaben immer, wenn ich es genauer anschaue, noch ein paar Nummern zu groß für mich und meine beschränkte Schreibzeit. Also kann ich immer nur einzelne Aspekte besprechen, die mir gerade ins Auge fallen.

Heute also:

Der Körper – das Physische

Der Körper ist ein Abenteuerspielplatz: jeder Reiz wird gespürt und empfunden, erlitten oder genossen, doch keinesfalls immer auf die gleiche Art. Tagesform und Vorerfahrungen spielen eine Rolle, aber auch der „Kontext“, also die Bedeutung, die der jeweiligen „Behandlung“ von Seiten des Aktiven gegeben wird. Wird zum Beispiel etwas als „ganz schlimme Bestrafung“ angekündigt, wird es mit Sicherheit schmerzlicher gespürt als wenn Top es mit der Bemerkung einleitet: „jetzt kommt was richtig Schönes, ich bin gespannt, wie es dich berührt!“

In welch großem Ausmaß der psychische Rahmen das Schmerzempfinden beeinflusst, ist eine der großen Erkenntnisse, die Sub so am eigenen Leib erfahren und erkennen kann: 80% eines Schmerzes ist der Widerstand gegen ihn – gut, zu wissen, auch fürs ganz normale Leben!

Ein weiterer wichtiger Aspekt körperlicher „Behandlungen“: sie erzwingen und binden Subs Aufmerksamkeit. Jeder Mensch hat nur seine je eigenen „100% Aufmerksamkeit“ – meist sind die auf mehrere Dinge verteilt, bzw. einigermaßen zerstreut: eigene Gedanken im Kopf, ein diffuses Körpergefühl, eine Arbeit, die man gerade erledigt, die Rede eines Mitmenschen, der grade was erzählt – selten konzentrieren wir uns ganz auf EINE Sache.

Tops „Arbeit“ in einer Session kann man also auch als Aufmerksamkeitsmanagement sehen: Worauf Sub sich konzentriert, wird im besten Fall von Top bestimmt – und Sub kann dann interessante Erfahrungen damit machen, inwiefern und wie lange das funktioniert und WIE es möglich ist, sich dem zu entziehen: unfreiwillig heraus zu fallen oder mit Absicht „innerlich zu fliehen“.

Weniger ist mehr

Leider verschießen viele Tops ihr Pulver schon gleich nach dem Motto „viel hilft viel“. Augenbinde, Klammern, Knebel, Schläge, Wachs, Dildos und Plugs – so manche Anfängerin wird gleich mit einem „Gesamtprogramm“ beglückt, das eher überreizt und verschreckt als dass es Lust auf mehr macht. Und „Anfänger“ ist man nicht nur ganz zu Anfang, am Beginn des eigenen Auslebens, sondern immer wieder, wenn man mit einem neuen Partner zusammen kommt.

Ich plädiere dafür, jedes „beeindruckende Instrument“ erst mal für sich auskosten zu lassen: Blind sein ist an sich schon ein tolles Erlebnis, auch noch ganz ohne zusätzlichen Stress. Es braucht Zeit, sich an die Abwesenheit des Sehens zu gewöhnen und die Verstärkung der ANDEREN Sinne zu erleben. Nicht wissen, was kommt, was Top tun wird, wie man berührt werden wird, ergibt eine Unsicherheit, mit der sich wundervoll spielen lässt. Wie schade, wenn Sub gar keine Zeit gelassen wird, das voll auszukosten!

Natürlich wird es mit zunehmender gemeinsamer Erfahrung eines Paares dazu kommen, die verschiedensten „Zumutungen“ zu kombinieren. Auch dabei ist es ratsam, im Auge zu behalten, was noch weiter wirkt, während man als Top etwas Neues hinzufügt. Meine Sub-Seite liebt es, sich ganz auf das einzulassen, was gerade „Hauptsache“ ist. Wenn aber zum Beispiel meine Stellung es nötig macht, dass ich mich aufs Gleichgewicht konzentriere, während Top schon ganz darin versunken ist, das Schlaggefühl der neuen Peitsche auszutesten, dann fallen unsere Erlebniswelten tendenziell auseinander. Ebenso, wenn ich noch Klammern trage und immer daran denken muss, wie schmerzlich es sein wird, wenn er sie wieder abzieht, während Top sie längst vergessen hat und dabei ist, meine Zehen mit dünnen Schnürchen einzeln zu fesseln.

Ich sag nicht, dass man NICHT kombinieren soll, sondern weise darauf hin, dass es wichtig ist, alles im Bewusstsein zu behalten, was Sub gerade erlebt und erträgt, um es kundig und mit ABSICHT zu benutzen. Im Zweifel schadet es nicht, einfach mal nachzufragen. Eine harmlose Haarklammer, die grade Richtung Ohr abrutscht, kann unter Umständen mehr nerven als das, was Top in dem Moment „mit Sub anstellen“ will. Und es ist nicht etwa undominant, sich dafür zu interessieren, was Sub erlebt, schließlich will Top das doch gerne selbst steuern.

Wie an diesen Betrachtungen klar wird, lässt sich „Körperliches“ nicht getrennt vom psychischen Erleben sinnvoll beschreiben. Aufmerksamkeit ist eine psychische Ressource: wer sie im Blick behält, wird sehr viel kreativer spielen können als jemand, der nur den „handwerklichen Aspekt“ bewusst handhabt.

Höher, schneller, weiter?

Oft wird eine Entwicklung der Praktiken in Richtung „höher, schneller, weiter“ beklagt, die aus meiner Sicht großteils deshalb so erlebt wird, weil es eben das Einfachste ist, die Intensität eines Reizes zu erhöhen, wenn Sub sich an einen bestimmten Level gewöhnt hat. Die innere Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Reiz und dem Schmerz, den er erzeugt, scheint abgeschlossen und Sub driftet mit der Aufmerksamkeit tendenziell ab, weil die Sache nicht mehr so richtig beeindruckt. Also werden statt Klammern nun Nadeln ausprobiert, das härtere Schlagwerkzeug kommt länger und intensiver zum Einsatz – aber ist es das wirklich?? Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, das Setting zu verändern, mit dem „psychischen Rahmen“ zu spielen, oder auch mal Pause mit bestimmten Praktiken zu machen – schließlich wollen wir nicht ABSTUMPFEN, sondern im Gegenteil Intensität erleben.

Ein Artikel über das körperliche Erleben soll nicht ohne den Hinweis enden, dass auch SPUREN nicht unbedingt Rückschlüsse darauf zulassen, wie sehr Sub leidet. Haut und Bindegewebe sind so unterschiedlich verfasst, dass zum Beispiel bei der einen Person Striemen bleiben, wenn noch kaum etwas gespürt wird, wogegen eine andere schon ans Stoppwort denkt, obwohl grade mal eine leichte Rötung eingetreten ist.

Psyche ist eben (fast) alles!

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