Die dunklen Seiten der Neigung

Da es gesellschaftlich noch immer anrüchig ist, sich zu SM zu bekennen, neigen (fast) alle, die es leben, dazu, stets nur die positiven, bereichernden und beglückenden Seiten der je eigenen Neigung zu rühmen und zu loben. Gar nicht wenige sind dabei auch noch überzeugt, „etwas Besseres“ zu sein als die „Normalen“, die man sich nur noch als gelangweilte, in erotischer Routine erstarrte Menschen vorstellt, die es halt nicht besser wissen, bzw. nicht anders können.

Lange sah ich die Dinge ähnlich einseitig: die „dunkle Erotik“ ist ja so spannend, vielfältig und faszinierend! Wer sich lange im „Kopfkino“ aufgehalten hat und dann endlich damit beginnt, den Abenteuerspielplatz BDSM aktiv zu erforschen, hat allen Grund, hin und weg zu sein. Endlich ist man FREI von einengenden Vorstellungen, weg von der Sklaverei des normierten sexuellen Aktes (Vorspiel, Vereinigung, Orgasmus, Nachspiel), angekommen im Reich der Freiheit, wo alles möglich scheint, was Lust und Freude macht – wie wunderbar! In meinem Text „BDSM ist….“ fasste ich einst meine Begeisterung in Worte – und stehe noch immer hinter jedem einzelnen Satz!

Ja, das alles ist wahr, aber es ist nicht die GANZE Wahrheit. Den Leidensaspekt mancher Neigung nicht mehr zu erkennen, ist auch eine Art Verblendung, bzw. ist Wirkung der „rosa Brille“, mit der alles Neue und Beglückende zunächst gesehen wird. Viele bleiben bei dieser Sicht der Dinge und behalten ihre Irritationen für sich. Schließlich will man den gewonnenen Freiraum verteidigen und nicht durch Irritierendes und Verstörendes in Frage stellen, will keine Angriffsflächen bieten und Vorurteilen nicht noch Futter bieten (=krank, irre, abgedreht, pervers etc.).

Und da ist ja auch noch das Selbstbild: Wer „immer bei den Guten“ sein will, auch wenn er bei den „lieben Bösen“ mitspielt, wird nur die hellen Seiten sehen wollen – und nicht das, was bei genauem Hinsehen weniger schön, weniger frei (!) und weniger „gesund“ erscheint. All das wird kaum je in Foren diskutiert, taucht jedoch in privaten Gesprächen auf, wenn das Vertrauen da ist und die richtigen Fragen gestellt werden.

Ich interessiere mich für die problematische Seite des Lebens mit BDSM und freue mich immer, wenn darüber ein offenes Gespräch zustande kommt. Persönlich erlebe ich es als Gewinn an Freiheit und Gelassenheit, die Abgründigkeit mancher eigenen Neigung als solche zu erkennen – nicht beurteilt anhand gesellschaftlicher Vorstellungen von der „richtigen Erotik“, sondern einzig gemessen am eigenen Erleben: Was nicht nur froh und glücklich macht, sondern drängt, aufwühlt, von innen heraus ein bestimmtes Verhalten geradezu aufzwingt und im Vollzug nur für kurze Zeit befriedigt, ist mir durchaus Anlaß, es auch mal kritisch zu betrachten: bin das ICH? Wenn nein, was ist es dann?

Wer hier mitliest, sei also gewarnt: es kommt auch mal „schwere Kost“. :-))
Demnächst in diesem Theater.

3 Kommentare

  1. Pingback: Ein schlechtes Gewissen wegen SM-Fantasien? » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

  2. Ich bin erst kürzlich auf Deinen Blog gest0ßen und ich bin absolut sprachlos (im positiven Sinne).
    Bis ich mich ganz durchgelesen habe, wird es jedoch noch eine Weile dauern.

    Was dein älteres Thema hier betrifft: „Die dunkle Seite der Neigung“ kann noch dunkler werden wenn man auf längere Zeiten in 2 Welten lebt, z. Bsp. im Falle einer bestehenden Vanilla-Beziehung mit Verpflichtungen. Die Geschichte vom „Dr. Jeykill and Mr. Hyde“ ist an sich ein klassiches Beispiel für eine solche Konstellation.

    Ich habe vor kurzem selbst mit Blogschreiben angefangen, muß aber feststellen daß es nicht einfach ist originell zu bleiben.

    Hiermit möchte ich auch meinen ehrlichen Respekt vor Deiner umfangreichen Blogseite und Deinem Talent Dich mitzuteilen ausdrücken. Weiter so!

    Joe du Donjon

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