Von der Lust am Schmerz

Als ich vor Jahren meine erste, mit viel Voraus-Fantasie und wilden Vorstellungen erwartete Flag-Session erlebte, war es mit der „Lust am Schmerz“ noch nicht weit her. Kopfkino und Wirklichkeit klafften spürbar auseinander. Während des Erlebens kreisten meine Gedanken fast ausschließlich um „psychische Aspekte“, nämlich die Verrücktheit, mir „sowas“ antun zu lassen in einer Situation inszenierter Machtlosigkeit. Ich erlebte meinen beinharten Stolz, der mir aufgab, in keiner Weise Schwäche zu zeigen, und das für mich spektakuläre Zerbröseln dieser Haltung in körperlicher Erschöpfung.

Verwirrungen im Kopf: das BDSM-Paradox

Ganz versunken in mich selbst war ich zur Kommunikation mit dem Top weder willens noch in der Lage. An ein aktives „Mitspielen“ der Szene war nicht zu denken, denn ich wollte ja alles möglichst „echt und real“. Die eingenommene Rolle der „bestraften Sub“ tatsächlich auszufüllen und mich entsprechend zu verhalten, brachte ich nicht fertig (war doch klar, dass er mich nicht wirklich „bestrafen“ wollte!), obwohl ich den vermeintlichen Zwang genau dieses Rahmens benötigte, um ins „Sub-Gefühl“ zu kommen. Einfach das ‚raus zu lassen, was in mir abging, ging aber auch nicht, denn das hätte ja den Rahmen des Szenarios, nach dem ich mich so gesehnt hatte, gesprengt und meinen Partner in seinen Aktivitäten gebremst – zumindest fürchtete ich das, denn wir hatten beide nicht viel praktische Erfahrung. Und dann war da noch mein Stolz…

Diese Session hat mir sehr viel gebracht, doch eines konnte ich damals nicht ansatzweise spüren: die Lust am Schmerz. Dem entsprechend schätzte ich mich selbst in der Folge als „submissiv, aber kaum masochistisch“ ein, denn meine Fantasien kreisten nach wie vor um Machtlosikeit und Ausgeliefertheit. Ich wollte überwältigt und unterworfen werden, während mein Verstand sich im BDSM-Paradox verhedderte: wollen, was ich eigentlich nicht will, Szenarios kreieren, die „ganz echt und ernst gemeint“ wirken sollten, während sie doch dem wachen Geist keinen Augenblick Stand hielten – was auch richtig war und immer richtig bleibt, denn wer will schon „im Ernst“ so behandelt werden? (Das wäre ja dann nichts anderes als der Alltag einer „destruktiven Beziehung“, in der der Mann gewalttätig wird).

Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, in unzähligen Sessions veränderte sich mein Erleben drastisch und meine Sicht der Dinge änderte sich mit. Heute „genieße“ ich eine Flag-Session (die hier mal beispielhaft für alle „Schmerz-Spiele“ stehen soll) von Anfang bis Ende und habe kein Problem mehr damit, mit dem „bösen Dom“ spontan zu kommunizieren. Auch grüble ich nicht mehr über Grundsatzfragen zur Situation, sondern versinke im sinnlichen Erleben und in den Emotionen, die dieses Erleben und das Verhalten meines Gegenübers auslöst.

Für die literarische Darstellung ist eine solche Session nicht ergiebig, denn es gibt keine inneren Konflikte mehr, die einen solchen Text über die Ebene der „Wichsfantasie“ hinaus heben könnten. Ich belasse es also beim sachlichen Essay-Stil, um die Varianten des Genießens darzustellen, die mir mittlerweile vertraut sind:

1. Flag-Massage / Aufwärmen

Wie eine intensive Massage wirkt das Aufwärmen mittels Schlägen, die die Schmerzgrenze nur selten überschreiten, ausgeführt mit Händen, Klatsche, Flogger oder SM-Gerte. Die Schmerzschwelle hebt sich nach einiger Zeit an (meist nach dem „kurzen Überschreiten“) und die (sexuelle) Lust geht locker mit oder kommt durch die Behandlung und die spannende Situation erst so richtig auf. Endorphine werden ausgeschüttet, psychisch bin ich dadurch locker, lustig und euphorisch gestimmt, was sich schnell zu einem rauschhaften Erleben auswachsen kann. Obwohl Schläge an den passenden Stellen jetzt die Geilheit steigern, bräuchte ich für einen Orgasmus zusätzliche genitale Stimulation, wonach es mich aber regelmäßig nicht verlangt. Auf „bloße Geilheit“ will ich lieber nicht abfahren, denn ein Abbruch der Schläge zugunsten erotischer Stimulationen erscheint als Verlust bzw. Einbruch von Intensität. (Natürlich kann man von diesem Massage-Level locker in Standard-Sex übergehen, viele Paare belassen es dabei.)

2. Lustschmerz

Heftigere Schläge lassen die sexuelle Erregung in den Hintergrund treten oder ganz verschwinden. Die Schmerzschwelle geht weiter hoch, das „Rauschhafte“ an der ganzen Sache trägt jetzt das Erleben. Ich genieße die „Welle“ nach den Schlägen, die durch den Körper pulst, verschiedene Instrumente vermitteln immer neue und andere Sensationen, auf die sich der Körper einstellt. Es gelingt, das „Schöne am Schmerz“ zu genießen, obwohl der Schmerzcharakter erhalten bleibt. Jeder Schlag ist eine neue Herausforderung, dieses „Erotisierungspotenzial“ zu erweitern und ich staune immer wieder, in welchem Maße das gelingt.

3. Grenzwandern

Die sogenannte „harte Gangart“ wird eingeschlagen, wenn noch einmal heftigere Schläge die Grenze zum „Unerträglichen“ berühren. (Für alle Fälle sei nochmal gesagt: Sowas macht man selbstverständlich nur im Konsens bzw. Meta-Konsens!) Wenn dem Spiel mit der Grenze ein „ordentlicher Vorlauf“ aus Aufwärmen und Genießen des Lustschmerz-Levels voraus geht, ist das „Überschreiten“ allerdings gar nicht mehr so leicht, da die Schmerzschwelle bereits sehr hoch liegt und die Genuss-Chancen für Sub auch bei härterer Behandlung entsprechend groß sind.

Dennoch ist es sinnvoll, Sub erst in diese recht „belastbare“ Verfassung zu bringen, um dann mit ihrer Grenze zu spielen: der Mut und die Experimentierlust auf beiden Seiten ist größer, Sub ist physisch weniger verletzbar (gut aufgewärmt drohen kaum nachhaltige Spuren) und psychisch „aufgekratzt“ bzw. komplett ‚raus aus dem Alltagsbewusstsein – eine gute Grundlage für intensivste Erlebnisse. Auch besteht kaum Gefahr, dass Grenzüberschreitungen zum Absturz führen, denn das vorherige „lange Genießen“ wird DANACH im positiven Erinnerungsvermögen jene Eindrücke ausgleichen, die vielleicht nicht integrierbar wären, wenn sie auf „unvorbereitetem Feld“ zugemutet würden.

Der Aktive muss sich auf diesem Level richtig anstrengen, gleichzeitig Krafteinsatz und hohe Aufmerksamkeit aufbringen, kleine Erholungspausen an den richtigen Stellen einräumen und „passend kommunizieren“, je nachdem, welche Richtung die Sache nehmen soll.

Denn auf dieser Ebene gibt es zwei Varianten, wie die Session weiter verlaufen kann, die vom psychischen Rahmen des Geschehens abhängen, also der Art der Kommunikation:

Selbsterfahrung durch Schmerzerleben an der Grenze

Im ersten Fall ist die Stimmung harmonisch und sozusagen „solidarisch“: beide sind hoch konzentriert auf das Erleben selbst, quasi „versunken ins Tun“. Es wird kaum geredet, nur gefühlt. „Streichelpausen“ zwischen den Schlagserien geben psychischen Halt und körperliche Erholung. Sub ist ganz nach innen gewendet und „spielt mit dem Schmerz“, bleibt weitest möglich entspannt (was den Schmerz deutlich vermindert) und lässt alle Reaktionen und Emotionen ungefiltert durch: Stöhnen, Lachen, Schmerzlaute, Tränen… – eine sehr meditative, auf Selbsterfahrung zentrierte Angelegenheit, trotz heftiger Action. Es endet in beiderseitiger Erschöpfung, Entspannung und Zärtlichkeit.

Durch Kontroverse zur Katharsis

Im zweiten Fall ist die Session-Stimmung kontrovers, Top fordert Sub heraus und provoziert, ist also eher der „böse und gemeine Dom“, der Sub in die Bredouille bringen will. Sub ist entsprechend frech und renitent, fühlt sich stark, will keinesfalls „Schwächeln“ und ganz gewiss nicht „um Gnade bitten“. Also ein psychischer Machtkampf, ausgetragen mit Peitsche oder Rohrstock, eingebettet in entsprechene Kommunikation, die ganz wesentlich dazu beiträgt, Subs Erleben in genau jene Abgründe zu katapultieren, von denen sie gelegentlich so intensiv träumt.

Das Ende dieser „zweiten Variante“ ist, wenn es denn gelingt, eine Art Katharsis: das Umschlagen der „dunklen Gefühle“, die durch die harte Gangart evoziert werden (Wut, Ärger, Trotz, Furcht, Verzweiflung, etc.) ins Weiche, ins Aufgeben jedes Widerstandes, in Hingabe und Loslassen, wo dann auch mal Tränen fließen können. Nach dem „Umschlag“ besteht keine Notwendigkeit zur Fortsetzung mehr, die Session endet in großer Zärtlichkeit und fürsorglicher Zuwendung durch Top.

In der Luft hängen – und wieder runter kommen

Wenn es nicht gelingt, Sub über jene Grenze zu bringen, die den Umschlag der Gefühle bewirkt – zum Beispiel, weil Top angesichts heftiger Reaktionen doch Hemmungen verspürt, mehr vom selben zuzumuten – dann hängt Sub nach dem Ende der Zumutungen mit ihren aufgeputschten dunklen Gefühlen in der Luft und muss sehen, wie sie davon wieder herunter kommt. Reflektierte Subs werden den Flop nicht dem Partner anlasten und einfach ein wenig ins sich gekehrt beobachten, wie die Feelings binnen zehn Minuten wieder verschwinden. Andere werden den unbefriedigenden Verlauf Top anlasten, Groll in sich hinein fressen (=die dunklen Gefühle festhalten) oder gar ins Grübeln kommen, ob BDSM wirklich das Richtige für sie ist.

Mir hat es sehr geholfen, in solchen Situationen meine aufgestauten Emotionen auszuagieren, indem ich die Aggressionen ganz handgreiflich an meinem Partner ausließ – was in eine heftige Rauferei überging, mich psychisch komplett erleichterte und schließlich in Geilheit oder Zärtlichkeit überging (wie bin ich froh, nie mit einem Partner einen DS-Verhaltenskodex gelebt zu haben, der solche spontanen Reaktionen verbietet! Ich bin mir nahezu sicher, dass viele „Abstürze“ der Verwirrung geschuldet sind, die aus dem Auseinanderklaffen des hoch gehaltenen Kodexes und den Erfordernissen der Situation entstehen).

Erfahrung verändert

Mein persönliches Empfinden hat sich durch gelungene und gefloppte Sessions vom heftigen Sehnen nach Katharsis-Erlebnissen weg entwickelt. Es ist kaum mehr möglich, mich „zur Verzweiflung zu treiben“ und es taucht auch nur noch selten die Lust aufs „Grenzwertige“ auf. Das ist auch kein Wunder, denn in den Sessions habe ich gelernt, alle Emotionen und Gefühle sofort auszudrücken, alle Bedenken und Verhaltensvorgaben loszulassen und mich nicht mehr „innerlich zusammen zu reißen“. Stolz ist kein unüberschreitbares Hindernis mehr, das ich gerne in irgend einer heftigen Behandlung „zerschlagen“ lassen müsste, sondern eine psychische Ressource, die ich zugunsten der „spielerischen Kontroverse“ aktualisieren, aber auch wieder fallen lassen kann. Das versetzt mich in die Lage, um das Ende bitten zu können, wenn’s genug ist, woran früher gar nicht zu denken war – sogar so rechtzeitig, dass noch genug Zeit für Dom bleibt, mir die „Wunscherfüllung“ auch noch ein wenig zu verweigern.

***

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9 Kommentare

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  2. Hallo,

    ich habe auch schon wenige Mal die von Dir beschriebene Situation des „in der Luft hängens“ erlebt; meistens sind die Sessions jedoch „nur“ bis zum Lustscherz gekommen.

    Das Ausagieren meiner Frustration in Deiner beschriebenen Weise habe ich mir stets verwehrt. Ich damit eine weitaus physisch schwächere Dom attakieren. Das geht nicht.

    Ich habe den Groll in mich reingefressen und bei nach Tagen oder Wochen später nochmaliger Reflektion über SM nachgedacht. Mein Ergebnis war: andere Partnerin oder aufhören.

    Mittlerweile komme ich auch ganz schnell in die Lustschmerzphase und lasse dort meinen Gefühlen freieren Lauf; gegen meinen Stolz und mehr Kommunikation mit der Dom.

    Deine Zeilen bestätigen somit auch meine Erfahrungen. Und ich bin froh, nicht „Einzelkind“ zu sein.

  3. Was meinst du mit dem „Einzelkind“?

    Dass Verschiedenes für MaleSubs anders ist, wundert mich nicht. Vielleicht hat ja der stärkere Hang zum durchgängigen DS-rollengemäßem Verhalten bei MaleSubs u.a. DIESEN Hintergrund. Es ein Sakrileg, sich „an der Herrin zu vergreifen“.. Diese Einstellung gibts zwar auch bei FemSubs, doch wenn sie es übertritt bzw. ignoriert, wirkt das NICHT WIRKLICH als „Entmachtung“, denn der Mann ist sich in der Regel seiner physischen Überlegenheit sicher und kann Subs „bösen Angriff“ humorig nehmen.

    ABER: auch ich „kämpfe“ nicht mit allen Mitteln gegen meinen liebsten Top, auch nicht wenn ich (noch…) stinkewütend bin… Es gibt auch da einen Rest Sich-bremsen, um nicht ernsthaft zu verletzen (kratzen und beißen könnte ich ja zum Beispiel schon, schenke mir das aber…)

    Ich könnte mir also schon vorstellen, dass auch ein MaleSub mal der Seinen den Hintern versohlt, wenn es noch was auszuagieren gibt – und das kann ja durchaus lustvoll enden, siehe oben. Geht natürlich nur, wenn es eine vertrauensvolle Beziehung „mit Meta-Ebene“ ist, in der der Aktiven kein Zacken aus der Krone bricht, wenn sowas mal vorkommt. :-)

  4. Hi Clu,

    bisher habe ich an mir ein wenig gezweifelt, weil ich bis zu Deinen Zeilen auch noch keine Aussage zum Gefühl und der tatsächlichen Umsetzung des Ausagierens von aufgestauten Emotionen von einer Sub/eines Subs gehört, gelesen etc. habe. Gut, es ergab sich die Gelegenheit bei mir nicht, mit anderen Subs darüber ins Gespräch zu kommen. Deshalb dachte ich, man du bist irgendwie nicht ganz im richtigen Fahrwasser, wenn du gegenüber deiner Lady nach dem Hängen lassen handgreifliche Gedanken hegst, deine physische Stärke zu Frustabau nutzt. Deshalb die Formulierung „Einzelkind“.

    Deine Zeilen dazu sind deshalb für mich die ersten Aussagen. Danke dafür.

    Wäre ja nicht schlecht, wenn auch eine andere Sub oder anderer Sub hier in Deinem Blog von ähnlichen Erfahrungen berichtet bzw. seine Varianate des Frustabbaus nennt.

    Naja mit dem Hintern versohlen – meine Frustration war nach solchen Erlebnissen dann schon groß. Und wie gesagt, auch habe ich manchmal Wochen gebraucht, um den Frust zu relativieren.

    Das von Dir gemeinte Hintern versohlen der Lady würde bei mir wohl darüber hinaus gehen. Da füge ich mir lieber selber ein physisches Leid zu. In dieser Hinsicht existiert wirklich bei mir Sakrileg.

    Sofern ich der Lady den Hintern versohlen würde, stellt sich bei mir nicht die Frage, ob ich damit an ihrem Thron säge. Das Verprügeln würde auf den Frustabbau begrenzt bleiben.

  5. ich beneide Dich, liebe Clu, dass Du das alles erleben kannst. Ich meine jetzt speziell auch die Geschichte mit der Peitsche. Ich weiß, wie gesagt nicht, wie ich selbst reagieren würde. Aber das Erlebnis, wirklich heiß und glühend den eigenen Arsch zu spüren, zu erleben, es ist das eigene Ich, das aufgebrochen wird, man wird zum Kind, und fühlt zugleich die Erotik des erwachsenen Körpers, die Haut, Hitze, intimste Berührung, eine ganze Symphonie von Peitschenschlägen und Wellen des Glücksgefühl, ausgeliefert zu sein, nackt, nackt, nackt, fließender Schoß, geiles Glied im innigsten gegenseitigen Vertrauen…

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