Die Lust am Schmerz braucht den kundigen Top

Damit Sub Lust an schmerzlichen Behandlungen erlebt, muss sie nicht „besonders maso“ sein. Klar gibt es diejenigen, die von vorne herein wissen, dass sie auf Schmerz stehen. Sie benötigen oft keinerlei „Unterwerfungskomponente“ im Miteinander mit dem Partner und in den Szenarios ihrer Sessions können Schläge durchaus „als Belohnung“ verabreicht werden.

Nach all den Jahren Foren mitlesen kann ich sagen: das ist eine kleine Minderheit in der BDSM-Szene, wie sie sich im Netz zeigt: Glückliche Masochisten, die kein Problem mit dem Schmerz haben, im Gegenteil! Die Mehrheit besteht jedoch eher aus „Menschen wie du und ich“, die Schmerzen erstmal fürchten, trotz der ambivalenten Lust des Verlangens, sie (z.B. als „Strafe“) heraus zu fordern. Oft lese ich sogar den Satz: „Schmerzen selber geben mir nichts, ich ziehe meine Lust aus der Unterwerfung und der Befriedigung des Tops, für den ich es voller Hingabe ertrage“.

Und ja, es ist möglich, ein sinnlich gesehen unangenehmes Erlebnis „über den Kopf“ zu erotisieren – und sei es im Nachhinein, wenn das Kopfkino dann ungestört auf die erlebte „Machtlosigkeit“ abfährt. Als submissiv geneigte Person brauche ich solche Erlebnisse sogar gelegentlich, denn dadurch bleibt der Aktive „spannend und gefährlich“ – zumindest in der zweiten Welt unserer BDSM-Wirklichkeit. Sub muss sich auch ein bisschen fürchten können, was er wohl jetzt wieder vor hat. (Wenn Dom immer nur Angenehmes tut, verliert sich dieses „neigungstechnisch“ so wichtige Gefühl und das Zusammensein nähert sich wieder der „Vanilla-Erotik“ an.)

Es ist also GELEGENTLICH toll, wenn auch mal Dinge geschehen, die Sub nicht gleich erotisieren kann, sondern „nur erträgt“. Allerdings wird eine intensive und erfüllende Praxis auf Dauer nicht NUR aus derlei Erlebnissen bestehen können! „Ich ertrage es für ihn“ ist eine Aussage, die mich immer wieder mal reizt, nachzufragen, welches konkrete Erleben eigentlich dahinter steht. Schließlich zehren wir alle von unseren eigenen Erfahrungen, wenn wir uns über BDSM-Praktiken und Formen des Genießens äußern. Und dabei wurde mir des öfteren der Blick auf eine Praxis eröffnet, bei der ich nur sagen kann: na klar, SO ist es ganz unmöglich, Schmerz zu erotisieren, WÄHREND er erlebt wird!

Kurz gesagt ist es unmöglich, z.B. Schläge sinnlich zu genießen, wenn Top es nicht beherrscht oder nicht willens ist, seine „Quälereien“ so zu gestalten, dass Subs Lust folgen kann. Hinstellen oder über ein Möbel beugen, dann ein paar mitzuzählende Schläge mit dem Rohrstock ertragen, die gleich Striemen hinterlassen – das macht keine Sub zu einer Liebhaberin dieser Praxis (es sei denn über den beschriebenen „psychischen Umweg“).

Die Peitsche lieben lernen

„Du wirst die Peitsche LIEBEN lernen, bevor ich dir weh tue!“ – das ist schon eher die Haltung, mit der Top die Türen zum siebten Flag-Himmel öffnen kann, doch dafür muss er sein „Handwerk“ auch verstehen: sanft beginnen, mehr streicheln als schlagen, dann langsames Steigern der Intensität, Einbeziehen des ganzen Körpers (mit Ausnahme gefährlicher Stellen!), Abwechseln der Instrumente (Hand, weicher Flogger, Klatsche, härterer Flogger..) und immer wieder kleine Pausen mit erotischen Stimulationen. Binnen Kurzem hebt sich so die Schmerzschwelle auf Subs Seite: was eben noch richtig weh getan hätte, wird jetzt als angenehmer Massagereiz erlebt, wird zum reinen Genuss, der Sub die „Lust auf mehr“ kennen lernen lässt. Ein gelegentlicher Schlag über der Grenze zum Schmerz macht die Sache brisant und verhindert, dass Sub in träumerische Trance verfällt.

So behandelt, gerät ihr ganzer Körper in Wallung, die ausgeschütteten Endorphine stimmen euphorisch, das sinnliche Körperempfinden ist intensiv und voller Kraft, auch psychisch fühlt sich Sub stark und vielleicht ein bisschen albern – ein wunderbares Erlebnis! Je nach Intensität kann es „sehr geil“ sein, doch ist Geilheit nicht die einzige Form des physischen Genießens, die hier möglich ist. Auch jenseits rein sexueller Lust kann der Körper Freude und Lust empfinden, wenn die vielfältigen Stimulationen den Kopf ausschalten und vom vernünftigen Denken des Alltags wegführen. Schmerz ist auf einmal nichts Falsches und zu meidendes mehr, sondern eine Herausforderung und Gelegenheit, sich ganz dem sinnlichen Erleben hinzugeben: viele schwärmen geradezu von der Schmerzwelle, die nach einem heftigeren Schlag bis zum Scheitel und den Zehenspritzen durch den Körper geht – und wieder wird Sub feststellen, dass es lange nicht mehr so weh tut, wie es „eigentlich“ tun müsste. So vorbereitet, sind dann auch Rohrstockschläge ganz anders zu verkraften als auf kaltem Hintern. Die Haut und das Bindegewebe sind warm, gerötet, gut durchblutet, was nun auch dazu führt, dass kaum noch Spuren zurück bleiben.

Ein in dieser Art lustvolles Flag-Erlebnis braucht Zeit: Das ist nicht in zehn Minuten mal eben so abzuhandeln: eine Stunde sollte es mindestens dauern, die aber oft nicht reichen wird, denn für Sub vergeht die Zeit „wie im Flug“.

Da ich zu Beginn meiner BDSM-Praxis keinerlei „Lust am Schmerz“ empfand, heute aber solche Sessions unendlich genieße, sag ich aus dieser Erfahrung heraus: DAS kann jede/r Sub lernen – doch es gehört der richtige Dom dazu! Der darf ruhig Anfänger sein (er hat ja Gelegenheit zum üben!), doch sollte er nicht glauben, es genüge, für Sub nur Erlebnisse zu kreieren, die „im nachhinein“ per Kopfkino erotisierbar sind. Das psychische Rahmenszenario der Neigung erfordert es zwar bei vielen, dass Doms Behandlungen als „böse Zumutung“, als Herausforderung oder „Strafe“ erlebt werden, doch ändert das nichts daran, dass „die Sache selbst“ sinnlich genossen werden will – und KANN, wenn es richtig gemacht wird.

Ist Sub nach einiger Zeit dank solcher Sessions in der Lage, Schmerzen weitgehend zu integrieren und zu harmonisieren, stehen diese Fähigkeiten auch „im normalen Leben“ zur Verfügung. Und auf dem Level von Intensität und ganzleiblicher Präsenz, der so erreichbar ist, lässt sich, wenn gewünscht, auch die härtere Gangart inszenieren – mit einer Sub, die sozusagen „die Grundausbildung“ hinter sich hat und in der Lage ist, vielerlei Reizen, Stimulationen und „bösen und gemeinen Zumutungen“ innerlich kreativ zu begegnen.

20 Kommentare

  1. Hallo Clu Maria,
    selten habe ich so konzentriert, ohne jedes Pathos, eine sinnvolle Anleitung zum erotisieren von Schmerzen gelesen. Vielen Dank für deine sehr offene und präzise Art. Diesen Artikel sollte jeder Top und jede Sub lesen, der/die sich für das Thema ernsthaft interessieren. Vielleicht könnte man dann einige wirklich unangenehme Sessions vermeiden und statt dessen mehr Lust kreieren.
    Es grüsst dich sehr herzlich
    Tenderpain

  2. Hallo Clu Maria

    Danke für die wunderbaren Zeilen!
    Sie drücken das aus, was auch ich empfinde und ich bin meinem Top unendlich dankbar, denn er läßt es mich genauso erfahren und spüren…….. und dafür liebe ich ihn

    Britta

  3. Hi

    Ich habe mit größtem Interesse diesen Artikel gelesen und muss sagen, dass er nicht nur interessant ist sondern auch super zu lesen und es zu verstehen.

    Eine klasse Beschreibung, die genau die Bedürfnisse einer Sub die den Hang zum Schmerz besitz wiederspiegelt.

    Großes Kompliment und Respekt.

    Miss EL

  4. Ich bin ganz neu in diesen Bereichen zuwege, und ich suche nach sinnvollen Texten die meine Neugier befriedigen und mich verstehen lassen wie eine verrückte……..
    Ich habe jetzt schon so einiges gelesen, auch Bücher zu dem Thema, und ich muß Dir ganz ehrlich sagen, keiner kommt bisher an das von Dir geschriebene ran.
    Und wo wir schon mal beim Thema sind: „Du solltest unbedingt ein Buch herausbringen!“ Das ist mein voller ernst. Ich bin mir sicher, es würde ein durchschlagender Erfolg!
    Immer mehr Menschen öffnen sich mehr in diese Richtung und suchen förmlich nach so einleuchtender und hilfreicher Lektüre wie Deiner. Klarer und verständlicher kann man es wirklich nicht mehr beschreiben. Und ich möchte Dir danken für Deine Texte, die mir sicherlich in Zukunft noch eine große Hilfe sein werden.
    Freu mich auf diese Seite gestoßen zu sein, und werde sie in jedem Fall all jenen wärmstens empfehlen die sich dafür interessieren. Aber auch solchen die Angst oder Vorurteile haben,…..denn die Texte räumen einfach mit allem auf.

    Liebe Grüße&weiter so

    Liloo

  5. Dein Lob freut mich sehr !! Oh ja, hätte ich mehr Zeit, würde ich das Buch vielleicht sogar schreiben – meine Festplatte enthält Themen und Texte, die für mehrere Bücher Stoff abgäben! Leider muss ich auch ans Geld verdienen denken und so ein Buch frisst doch „am Stück“ sehr viel Zeit, die für die „Brotjobs“ erstmal fehlt… na, mal sehen, vielleicht überkommt es mich ja doch mal. Sag niemals nie! :-)

  6. Liebe Clu,

    danke für Deine Antwort.
    „Sag niemals nie“, das könnte auch von mir sein, oder:“kommt immer anders als man denkt!“ ;o)
    Ich wünsch Dir auf jeden Fall das diese Seite den Erfolg bringt den Du Dir wünscht, und ich werd mal sehen was ich tun kann um diese Seite unter die Leute zu bringen.(das heißt, wenn dies auch in Deinem Interesse sein sollte, ich glaube es allerdings so verstanden zu haben?!)
    Ich glaube diese Seite ist in sich eigentlich schon gefeit vor „schwarzen Schafen“, denn ich glaub was diese Leute suchen finden sie auf Deinen Seiten ohnehin nicht,…..viel zu Anspruchsvoll;o)

    Dann werd ich mich mal weiterhin umsehen was hier noch so möglich ist, und mich weiterhin von Zeit zu Zeit an Deinen Texten erfreuen.

    LG, Liloo*

  7. Danke für die Zeilen. Das entspricht ganz genau dem, was ich dabei empfinde. Ich habe erst vor paar Monaten meine Neigung entdeckt, bin also noch neu und auch noch teilweise ängstlich. Aber ich habe das Glück, einen Partner gefunden zu haben, der extrem einfühlsam ist. Das Lesen deiner Texte und der anderen Kommentare tun mir wirklich gut. Immer wieder die Erkenntnis, das es anderen auch so geht.

  8. Vielen Dank für Deine anschauliche Darstellung und Erläuterung. Auch ich bin der Meinung, daß die Lust am Schmerz konditionierbar ist, sofern der Kopf offen dafür ist. Ich hatte darüber auch schon ein sehr interessantes Gespräch mit einem Arzt, der seit 30 Jahren SM als aktiver Part lebt.
    Ich bin erst neu auf diesem Gebiet unterwegs. Gerade habe ich Deinen Text mit meinem Dom und Partner gelesen, und konnte ihm somit zeigen und erklären, wie ich die Sache mit dem Schmerz sehe. Danke. :-) Auch ein dickes Lob von ihm.

  9. Hallo Clu!

    Als Dom finde ich es immer sehr hilfreich zu erfahren, wie eine sub in bestimmten Situationen empfindet. Für die eigene sub ist’s allerdings oft schwierig, das ihrem Dom so detailliert zu beschreiben.

    Vielen Dank für Deine aufschlussreichen Erläuterungen!

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  13. Über diesen Text bin ich 2008 gestolpert, als ich mich nach jahrelanger Abstinenz wieder aufmachte, meine Veranlagung leben zu können, war mir nie gelungen war. Dieser Text hat mir Hoffnung gemacht, dass es einen Top geben könnte, mit dessen Hilfe ich es lernen könnte. Ich habe diesen Top damals gefunden und weiß inzwischen, dass ich kein Lustschmerzler bin sondern wirkliches Leiden benötige
    Danke für die Hoffnung, die mir dieser Text damals gegeben hat.

  14. Toller Artikel!

    Als Sado hatte ich es bisher tatsächlich überwiegend mit wirklichen Masos zu tun. Man sucht halt das mit dem man sich am besten ausleben kann.

    Nun hat mich das Schicksal zu einer Person geführt die zwar Devot aber eben nicht zwingend Maso ist. Allerdings fasziniert sie der Masochismus. Leider hatte sie genau die von Dir beschriebene schlechte „Rohrstockerfahrung“. Um so mehr freut es mich, dass sie nach unserer ersten sehr leichten Kennenlernsession bereit ist sich nochmal einer sensiblen Schmerzbehandlung zu unterziehen.

    Auch wenn mir die Technik des Aufwärmens bekannt ist … war dieser Artikel eine schöne Anregung für das wie wir unsere nächste Session gestalten werden. In der Hoffnung, dass auch die „die Peitsche lieben lernt“.

  15. Habe diese Seite über Twitter entdeckt und finde die Seite echt Klasse.
    Endlich keine Sinnlose Xxx Seite. Werde gespannt Eure Seite erforschen.
    Danke für Eure mühe.

  16. Auch ich wollte mich für den Text bedanken, weil er mich innerlich befreit hat. Meine „BDSM“ Karriere begann holprig, da ich mich zu wenig selbst kannte und daher auch nicht wusste, was mir am meisten zusagt. Als ich dann mit meinem jetzigen Freund zusammenkam und der mir eröffnete, dass er gerne „Top“ ist, dachte ich, das Glück wäre perfekt…leider war seine „Top“ Erfahrung auch nicht besonders ausgeprägt und er verdrosch mich schon zum Vorspiel mit dem Gürtel…Frustration und Enttäuschung waren das Ergebnis, gefolgt von dem Gefühl „Ihn“ nicht glücklich machen zu können, ihm die Genugtuung nicht geben zu können, mich zu dominieren und mich in mir selbst gettäuscht zu haben. Ich dachte schon über eine offene Beziehung nach, weil ich weder ein noch aus wusste, wie ich seine Wünsche erfüllen soll. Gott sei Dank ist er sehr zärtlich und verständnisvoll, und so haben wir die Reise gemeinsam noch einmal begonnen….und diesmal war ich bereit dafür. Ich hatte schon immer eine unterwürfige Seite, meinen Masochismus kannte ich allerdings so gut wie kaum. Irgendwann machte es mir aber Spaß, die Schmerzen auszuhalten und ich merke immer mehr, dass ich in diesen Momenten wie berauscht werde, als wäre ich in einer völlig anderen Welt…so mancher könnte bei meinem Anblick glauben, ich hätte haufenweise Crack konsumiert ;) Aber ja, Schmerz lässt sich lernen, wenn eine gewisse Neigung vorhanden ist. Und ich muss sagen, dass ich mich schon sehr freue, das erste Mal mit einer Peitsche behandelt zu werden…Das was mir am BDSM so gefällt ist vor allem die mentale Komponente. Wenn er mit mir „durch“ ist fühle ich mich euphorisch und unbesiegbar,…aber dieses Gefühl werden sicherlich einige von euch kennen. ;)

  17. Kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen. Dieses „Taumel“ Gefühl kenne ich übrigens auch ziemlich gut. Es fühlt sich an, als wäre man in der Lage alles zu schaffen, stark und doch verletzlich zu sein, völlig dem anderen untergeben und irgendwie doch frei. Ein leichter Schwindel, ein starker Rausch….nirgendwo sind die Gefühle und Empfindungen so kontrovers wie bei diesem Spiel. Muss zugeben, dass aber auch eben diese Anlaufzeit brauche…je mehr man drauf Acht gibt, desto mehr bin ich bereit, mit mir zu machen zu lassen und zu ertragen. Es ist einfach ein ganz starkes Gefühl, oft fühle ich mich dabei wie eine Seiltänzerin zwischen Lust und Wahnsinn…

  18. Hallo Clu,

    Wo kein Masochismus ist, kann man auch nichts wecken. Daher widerspreche ich hiermit mal dem Text. Ich bin auch seit Jahren Sub mit Leib und Seele, gehöre zur Fraktion derer die behaupten “ es für den Top zu ertragen“.
    Allerdings muss man das noch etwas intensiver betrachten. Ich ziehe meine Lust nicht allein daraus es für ihn zu ertragen, vielmehr aus der Demütigung die dahinter steckt. Leichte Demütigungen kicken mich. Das ist meine Erfahrung dazu. Und ich denke auch die wenigen Ausnahmen sollen eine Möglichkeit bekommen, sich nicht falsch fühlen zu müssen, nur weil auf sie die Theorie halt nicht zutrifft. Dennoch gute Seite hier. Jeder Mensch ist anders, individuell und man sollte besser nicht behaupten, jeder kann das…

    Grüße Dunkelelfe

  19. Hallo,

    ein sehr guter Text. Kompliment!
    Genau das ist der Sinn!
    Ein guter Dom muss auch immer ein guter „Psychologe“ sein!

    LG
    Holger

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