BDSM als Therapie?

Angesichts der tief gehenden Wirkungen und psychisch oft spektakulären Effekte der BDSM-Praxis taucht immer wieder die Frage auf, ob BDSM Therapie sein kann. Die Frage spaltet dann regelmäßig die Geister: während die einen die Idee strikt ablehnen, hängen ihr andere recht intensiv an – was wiederum zu Ressentiments zu führen scheint, wenn etwa ein Top auf eine „therapie-willige“ Sub trifft.

Persönlich hab‘ ich noch keinen „Therapie-ambitionierten“ Top kennen gelernt – wohl aber solche, die an den Ergebnissen meiner Gedanken über unsere gemeinsamen Erfahrungen sehr interessiert waren. Dennoch halte ich die Rede vom „BDSM als Therapie“ für eine Art Sprachverwirrung, wie sie in diesem Kontext ja nicht selten anzutreffen ist.

Denn ich lese immer wieder, wenn Diskussionen über Motive, Wurzeln, Hintergründe, sowie über Integrationsprobleme oder das Leiden an bestimmten Erlebnisweisen zur Sprache kommen, dass schon allein die Selbstreflektion vielen als „therapeutisch“ gilt. Und ja: BDSM bietet massive und tief gehende Selbsterfahrung – wobei manche Menschen eben „all das“ gerne intensiv reflektieren, wie auch andere, die NICHT darüber nachdenken, sondern es nur genießen.

Selbsterfahrung bringt Selbstveränderung

Mich hat das „paradoxe Wünschen“ (wollen, was ich eigentlich nicht will) immer schon sehr intensiv zum nachdenken und zur Selbstbeobachtung motiviert. Es war mir einfach eine Beleidigung des Verstandes und ich wollte WISSEN, was mich um Himmels Willen zu „alledem“ motiviert. Ich wollte mich selbst verstehen – und über eine längere Zeit und in Beziehung mit verschiedenen Tops kam ich zu immer deutlicheren Ergebnissen. Nicht auf dem Grübel-Weg, sondern als plötzliche Einsichten im Nachhall der Erlebnisse, in Träumen und Erinnerungen, die dadurch angestoßen wurden u.v.m.

So konnte ich nach und nach die Wurzeln meiner Hauptkinks klären – z.B. den rund um „Machtlosigkeit“. Und ja: das hat meinen BDSM über die Zeit deutlich verändert. Diese Kinks gibt es so nicht mehr, heute bin ich in aller Klarheit auf die sinnlich-rauschhaften Qualitäten konzentriert, da die „Knoten in der Psyche“, die mich früher paradox motivierten, verschwunden sind.

Das alles ist aber ganz normale Selbsterfahrung, Bewusstwerden durch Erleben, Beobachten und Reflektieren. Ich hab dadurch ungeheuer viel gewonnen – und einen Kink verloren, den ich natürlich jetzt auch nicht vermisse. Ganz ohne Therapie. Schließlich war ich nicht „therapie-bedürftig“, sondern hatte einfach nur eine für mich selber recht schräge, ungemein zum Nachdenken inspirierende Neigung.

Spricht man über derlei, klinkt bei vielen die Kategorie „Therapie“ ein – weil sie offenbar Selbstreflektion / Selbsterfahrung nicht ohne therapeutisches Setting kennen (=Vermutung).

KOMPENSATION ist dann nochmal etwas ganz Anderes. Sie würde ich noch viel weiter weg vom „therapeutischen Setting“ verordnen. Denn es ist normal, den Alltag mit lustvollen Aktivitäten zu kompensieren: wer viel Stress und Verantwortung hat, wird evtl. Fesselungen oder DS sehr genießen. Nur mal so als Standard-Beispiel, es gibt natürlich 1000 verschiedene Varianten – und nicht nur bei SMlern, sondern auch bei Vanillas.

Wenn ein Kink verschwindet

Vielleicht nochmal ein Beispiel, um das Spannungsfeld Therapie – Heilbehandlung – Selbsterfahrung – BDSM deutlicher zu machen:

Sicher kennen viele das Phänomen, dass bestimmte, in den eigenen Fantasien besonders brisante Aktionen nach mehrfacher Umsetzung nicht mehr kicken. Woran liegt das? Mit welchen Begriffen lässt sich das beschreiben? Ist man von diesem Kink nun „geheilt“, oder einfach nur gelangweilt?

Ob man von „geheilt“ spricht, wird sich danach richten, ob man zuvor darunter gelitten hat, sich also irgendwie „krank“ gefühlt hat. Die allermeisten verfallen bei so einer Entwicklung auch nicht in die große Verlust-Angst, denn was nicht mehr kickt, vermisst man auch nicht.

Aber: Von „geheilt“ oder (im Fall der vollen Akzeptanz ohne Leiden) vom „Verschwinden“ des Kinks kann man nicht sprechen, wenn die Jagd nach dem Feeling aus der Fantasie mit anderen Mitteln weiter geht. Der Weg „höher, schneller, weiter“ ist vielen wohl bekannt: das eine schleift sich ab, also sucht man nach Verschärfungen – macht die Dinge krasser oder geht in die Öffentlichkeit, bezieht „Fremde“ ein etc.

Das ist nicht „geheilt“ und auch nicht „verschwunden“, da die grundsätzliche Getriebenheit geblieben ist. Die verschiedenen Aktivitäten auf dieser „Jagd“ kann man m.E. unter keinen Umständen als „therapeutisch wirksam“ bezeichnen, genauso wenig wie der Umstieg auf filterlose Zigaretten von der Sucht befreit.

Über das Unbewusste haben wir keine Macht

Ob nun „Heilung“ oder nur „Verschwinden“: darüber haben wir in aller Regel keine Macht, da unbewusste Prozesse und Motive beteiligt sind. Diese zwar können bewusst werden, aber sie werden es nicht dann, wenn wir es wollen. Aus meiner Erfahrung passiert das von selbst, durchaus ein wenig „angestoßen“ durch Reflexionen und bewusste Selbstbeobachtung (genau so, wie man sich auch an Träume besser erinnert, wenn man ein Traumtagebuch führt). Aber niemals wirklich „gesteuert“ – nicht von Sub, nicht von Top.

Bei mir lag es – so vermute ich – auch daran, dass ich den Weg Richtung höher-schneller-weiter ab einem bestimmten Punkt gebremst und auch mal gestoppt habe. (Motiv: Lieber das Verlangen mal ins Leere laufen lassen, anstatt echte Verletzungen zu riskieren). Dadurch ergab sich eine größere DEUTLICHKEIT der inneren Sehnsüchte und Gefühle – und das Kopfkino verschärfte das Erleben auch locker von sich her durch „Über-Interpretationen“ der toppigen Aktionen.

In dieser „Entschleunigung“, die dem Drang entgegen gesetzt war, ergaben sich dann wesentliche Einsichten. Die mich und mein Verlangen auf unrückholbare Art verändert haben.

Einerseits ist damit etwas nicht mehr da, das lange sehr faszinierend war. Andrerseits ist etwas gewonnen, das ich erst schätzen konnte, als es normaler Teil von mir war. Nämlich frei von seltsamem Gefühlsgeschwurbel wissen, was ich will, was ich mag und was nicht – und was ich dem Partner SCHENKE, auch wenn ich es nicht mag. Eine klare Sicht, die auch den Alltag und alle Entscheidungen, die ich dort (besonders in Beziehung mit anderen Menschen) treffen muss, sehr positiv beeinflusst.

An die Psyche darf nur der Psychologe?

Im Kontext der Diskussionen über „therapeutischen BDSM“ kommt häufig auch das Argument, man sei doch nicht „fachkompetent“ und nicht jeder Laie dürfe „in der Psyche herum pfuschen“.

Diese Sicht der Dinge teile ich nicht, denn faktisch beeinflusst jeder, der mich intensiv berührt, zuvorderst meine Psyche! Und: Es kann z.B. jeder, der eine Zeit lang Gestalttherapie miterlebt hat (in Gruppe oder einzeln) und selbst kommunikationsbegabt und sensibel ist, einen ebensolchen Dialog-Stil pflegen – mit genau demselben Nutzen für das Gegenüber, wie wenn da ein „Gestalt-Therapeut“ zu Gange wäre.

Ich halte also nichts von diesem „Fachkraft-Argument“. Was mein Innerstes angeht, da lass‘ ich niemand anderem die letzte Deutungshoheit. Ein Therapeut kann mir Anstöße geben und mein Spiegel sein – das aber kann auch mal ein guter Freund und jeder, der es drauf hat und in entsprechender „Interesselosigkeit“ zu agieren in der Lage ist. (Es wurde ja auch schon wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein Heilerfolg mehrheitlich nicht von der angewendeten Therapieform abhängt, sondern von der PERSON des Therapeuten!)

BDSM mit therapeutischer Absicht wäre unwirksam – und zudem ungeil!

Mit einem Partner mach ich das aber in der Regel nicht, weder aktiv noch passiv. Denn man ist normalerweise dann nicht interesselos – und ich will ihn ja gerade NICHT erziehen. Dass bestimmte Session-Erlebnisse und per BDSM erfahrene Psychodynamiken ebenso etwas Heilsames BEWIRKEN können wie Therapie-Verfahren, macht sie aber dennoch nicht zur Therapie.

Wäre da nämlich ein beiden bekannter therapeutischer Wille, wären die Aktionen und Inszenierungen gerade dadurch nicht wirksam, da das „andere Motiv“ die Sache dann noch viel theaterhafter macht, als sie eh schon zwangsläufig ist. Allein schon das Label „BDSM“ (oder DS, SM, was auch immer) bedeutet ja eine gemeinsam gewusste Distanzierung gegenüber dem „Normalen“: man weiß, dass das, was man gerade miteinander erlebt, nicht diesselben Bedeutungen transportiert, wie dasselbe Verhalten bei Nicht-SMlern. Inmitten des Erlebens versucht man allerdings, dies insoweit zu vergessen, wie es für das lustvolle Eintauchen in die „zweite Realität“ erforderlich ist – und das ist schon schwer genug! Das vielfach zu bemerkende Ressentiment gegen den Begriff „spielen“ kommt genau von diesem Dilemma her: wir wissen, dass es Inszenierungen sind, das Neigungs-Ich will das aber gern vergessen.

Klebt man dem ganzen dann noch einen übergeordneten therapeutischen Sinn auf, ist die Imaginationskraft (die die SM-Ebene imaginiert) der meisten sicherlich überfordert – und die Geilheit, die Lust, das Brisante und zu Beginn oftmals Grundstürzende wird gar nicht erst erlebt.

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Siehe auch:

Vom Verschwinden eines Kicks

4 Kommentare

  1. Liebe Clu,

    mit diesen Thema habe ich mich sehr intensiv auseinander gesetzt. Ich gebe Dir recht: BDSM mit therapeutischer Absicht wäre unwirksam – nicht nur ungeil sondern auch zerstörerisch für die eigene Gedankenwelt. Ich habe es ausprobiert. Wollte mich selbst heilen, meine Gedanken und Phantsie mit der Realität überprüfen bzw. in Übereinstimmung bringen wollen.
    Ergebnis war, der Kick, die Lust blieben aus und auf Jahre gab es keine neuen Versuch, obwohl die Begierden auf der Seele brennen.
    Letztlich bin ich depressiv geworden, auch aus anderen Gründen, aber die unerfüllten Sehnsüchte trugen ihren Anteil bei. Meine Theapeutin hat mir immer wieder empfohlen, probieren sie doch einfach mal aus. Aber genau das Gefühl, dass dies als Therapie erfolgen soll und nicht aus dem Wunsch des Lustgewinn, läßt mich weiter zögern.

    Danke für diesen Artikel

  2. @Michael: aber du hast doch ein originäres Verlangen! Was schert die dich da der therapeutische Aspekt! Folge einfach deinem Begehren – ich denke mal, die Partnersuche ist eher die Hürde, nicht irgendwelche Überlegung Richtung möglicher Nebennutzen.

  3. ich hoffe, du schaust noch hin und wieder mal rein. Mein Name ist nicht Paul, aber E-Mails erreichen mich.
    Ich denke auch, sich verhauen zu lassen, ist keine Therapie, sondern eher die Verhinderung dessen, wenn Therapie auch Selbstwahrnehmung realer Gefühle bedeutet.
    Irgenwo hast du geschrieben von der Suche nach etwas, das man eigentlich verhindern sollte. So komme ich für mich auf die Definition vom den Hintergründen der speziellen Lust. Es gibt den Begriff der Phobie: Die mehr oder weniger irreale Angst vor Umständen oder Ereignissen, die mit traumatischen Verdrängungen zu tun haben. Angst vor geschlossenen Räumen oder Menschenansammlungern zum Beispiel. Das verdrängte Material projiziert die irreale Angst auf reales Geschehen. So macht sich das irreale scheinbar real und erhält sich in seiner irrealität. das gehört zum Bereich der Neurose.
    Die Psyche ist aber erfindersich, wenn es darum geht, Leben zu erhalten, wo es subjektiv aber nicht erhaltenswert scheint (dem Kleinkind). Denn da gibt es noch den Sachverhalt der Gegenphobie. Da sucht man sich oder fühlt sich dahin gezogen, wo man sich eigentlich vor fürchten müsste. In diesem Fall hat die Neurose das übergroße Schmerzerlebnis in Lust umgewandelt, um es zu entschärfen. Unterstützt man nun diese Form der Abwehr, so empfindet man zwar eine Form der Lust, aber man befreit sich nicht von diesem „Tick“.
    Dennoch habe ich bei mir den Eindruck, dass es mir besser geht, wenn ich hin und wieder Diese Form der „Abwehr“ genießen kann, alls wenn ich darauf verzichtete. Meine entzückende Frau steht glücklicher Weise darauf, meinen Popo gründlich zu behandeln. Wir haben uns darauf geeinigt, es dann zu tun, wenn sie menstruiert. Als Ausgleich sozusagen.
    Hast du es je erlebt, dass es beginnt, nur noch Lust zu sein, wenn erstmal eine gewisse Anzahl überschritten wurde?
    Und: Denkst du wirklich währenddessen über irgendetwas nach? Ich nämlich nicht.

    Sei gerüßt,

    Nicht Paul

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