Demütigung im BDSM – eine Interpretation

Neben der „Lust am Schmerz“ ist es vielfach die Demütigung, die in den submissiven Fantasien eine große Rolle spielt. Auch hier waltet das bekannte SM-Paradox: Man will, was man „eigentlich“ NICHT will – und gerade das erregt.

Ich interpretiere diesen Aspekt der Neigung mittlerweile als das Verlangen eines unvollständigen Selbstwertgefühls nach Bewährung, Bestätigung, Sieg.

Das heißt gerade nicht, dass man von dieser „Unvollständigkeit“ bewusst etwas wissen muss, denn auch sehr erfolgreiche und von vielen geschätzte Personen können so einen „Knacks“ haben, der meist aus lang vergangenen Zeiten stammt: wie eine alte Narbe am Gemüt, die eben noch juckt, weil sie heilen will.

Und in der Praxis heilt diese Narbe dann auch, denn in der Regel erlebt Sub, dass die jeweiligen Situationen doch „bestanden“ werden. Die in den Momenten der Demütigung erlebte Intensität, die teife Berührung, das irgendwie „Grandiose“ am „ganz unten sein“ ist im Grunde die Euphorie der Erkenntnis, dass einen das nicht etwa umbringt. Im Gegenteil, das Erlebnis kann sogar Stolz zur Folge haben, der darin wurzelt, „sowas“ eben doch durchleben zu können – und NICHT daran zu verzweifeln.

Sub erkennt die letztliche Herrschaft des eigenen Geistes über alle äußeren Situationen – und sogar über die eigenen „automatenhaften“ Gefühle der Ego-Verletzung. Und damit hat es sich dann auch oft in Sachen Demütigung!

Ob man sich gedemütigt fühlt, hängt eben letztlich nicht von den Aktionen und Meinungen Anderer ab, sondern von der eigenen Interpretation des Geschehens und vom eigenen Selbstwertgefühl. In SM-Beziehungen kommt üblicherweise das Wissen um die real vorhandene Wertschätzung des Partners hinzu, die ja nicht einfach mal eben so zu vergessen ist. Aus diesem Grund meinen viele, Demütigungen nur in distanzierten „Spielbeziehungen“ erleben zu können – doch auch das ist in der Realität dann eine sehr begrenzte Erfahrung: Wie könnte mich jemand wirklich demütigen, der mir im Grunde nichts bedeutet?

Körperreaktionen, die nicht willentlich steuerbar sind, sind z.B. für mich nichts Demütigendes, da ich gar nicht davon ausgehe, dass ich sie steuern könnte (= eigener Denkrahmen). Reitet Top darauf herum, ist der spielerische Charakter der Szene überdeutlich: er ist ja auch kein Idiot, und ich weiß, dass er weiß…

Ein „Spiel mit Schwächen“ (z.B. paar Kilo zuviel oder zu wenig) ist auch nur demütigend, wenn Sub selber deshalb ein Schuldbewusstsein bzw. einen Knacks im Selbstwertgefühl hat. In der Regel hat man sich allerdings gegenseitig genau SO gewählt, wie man ist. Warum sollte ich also auf einmal glauben, dass solche Mängel jetzt sehr bedeutend sind, wenn Top anfängt, darauf herum zu reiten? (Und: Top ist ja in der Regel auch nicht der Mister 150%-perfekt).

Inneres Wachstum

Auch außerhalb BDSM wird mit Demütigung als „Methode“ für das innere Wachstum der Persönlichkeitgearbeitet. Zum Beispiel erzählte mal eine spirituelle Lehrerin (bei der ich einst eine Massage-Ausbildung machte) von ihrer Zeit in einer amerikanischen Gurdjeff-Schule. Da hatte ihr jemand heimlich einen Wertgegenstand unter die Matratze gelegt, der angeblich aus dem Sekretariat geklaut worden war. Vor versammelter Schülerschaft wurde sie dann durch eine „Finderin“ ENTLARVT – stand mit hochrotem Kopf vor all den Leuten, die nun alle dachten, sie sei die Diebin. Sie sagte nichts, atmete…., verließ den Raum, ging in ihr Zimmer und meditierte: betrachtete die aufgerührten Gefühle, sah zu, wie sich alles wieder beruhigte…. und nach einer halben Stunde kam die Leiterin, machte mit den Fingern das Victory-Zeichen und meinte nur „Good girl!“

Es war eine Inszenierung gewesen, um sie dieses Gefühl erleben und (hoffentlich!) im Sinne der Schule positiv bewältigen zu lassen.

18 Kommentare

  1. Hi Gentledom,

    das macht mich glücklich! Wenn auch nur EINER diese meine „normalisierten“ Erkenntnisse schätzen kann, ist es die Sache wert.

    Mir kommt es im Moment eher ein wenig „eitel“ vor, meine am Ende recht nüchternen Einsichten über BDSM hier zu posten. Als „SM-Blog“ werde ich hier mehrheitlich von faszinierten Einsteigern und engagierten Experiementierern in ihren jeweils ersten Jahren des Auslebens „besucht“. Solange ich mich selbst in dieser Phase befand, war da eine gefühlte Kongruenz zwischen mir und der potenziellen/virtuellen Leserschaft – jetzt gibts die so nicht mehr. Sondern eher die Erwartung, dass meine aktuellen Blickwinkel jenseits von Romantik und Geilheit niemanden interessieren, je eher stören.

    Insofern ist mein Schreiben hier im Moment experimentell – und jeder Kommentar, der dazu etwas sagt, ist hoch willkommen!

  2. Ich lese Deine Beiträge gerade gerne, weil sie nicht auf die Erwartung an ‚Romantik und Geilheit‘ Rücksicht nehmen. Sie spiegeln Deine Erfahrung und die Reflexion über BDSM. Es wäre schön, wenn es mehr solche Blogs gebe, die nicht einfach noch härtere Phantasien bedienen.

    Die Beschriebene Ambivalenz des ‚Sub‘-seins finde ich manchmal schwierig – vielleicht das, was Du mit ‚Ernüchterung‘ beschreibst… ?

    Liebe Grüße!

  3. @nachtSonnen: nein, Ernüchterung ist, wenn es keine Ambivalenz mehr gibt – sondern eher ein Kopfschütteln im Rückblick, wie schräg man doch drauf sein kann.. :-)

    Solange es „schwierig“ ist, ist man noch voll drin.. und die Auseinandersetzung mit der Ambivalenz ist ja dann auch sehr faszinierend, lustvoll und lehrreich.

  4. hallo clu!

    vielen dank für deinen mut zu nüchternen einsichten, sie interessieren und wie! vor allem solche wie mich, die schon immer „tiefer gegraben“ haben – auch wenn s unbequemes an den tag fördert
    auch für viele einsteiger in die welt des bdsm sind realistische überlegungen durchaus wertvoll – vor allem weil sie die eigenen gedankengänge bestätigen können und dadurch vom druck des klischee sm entlasten
    in diesem sinne wünsche ich dir alles erdenklich gute im neuen jahr und die muse zu weiteren artikeln

    frau

  5. Die aus der „Normalisierung“ resultierende Nüchternheit ist ja ein Ergebnis Deiner genauen Analyse und Verallgemeinerung. Ich erhoffe mir Hilfe beim Verständlichmachen der Neigung und den damit verbundenen Gefühlen und Gedanken. Ich denke, Deine Worte können meiner interessierten, aber gefühlsmäßig fern stehenden (eher Vanilla) Partnerin helfen, zu verstehen, was einen Maso bewegt. Die dafür am stärksten hilfreichen Texte sehe ich – neben diesem – in „Begegnung mit der Peitsche“ und „Schattenseiten der Psyche“. Mir selbst helfen sie auch, in dem ich mich besser verstehe. Ich freue mich auf weitere Texte von Dir.

  6. Die Ernüchterung kommt ganz gewiss nicht aus der Analyse, die dem Erleben ja erst folgt. Die ist vielmehr eine Folge des Abbaus der ursprünglichen Motive im Lauf der Praxis. Aber dazu gern gelegentlich ein extra Artikel!

    Ich danke Euch allen nochmal für die Ermunterungen! :-)

  7. Liebe Clu, ich habe dein Blog gestern erst entdeckt und bin vollends darin versunken. Die Erfahrungen und Gefühle, die du hier in einer unglaublich schönen und eindringlichen Sprache beschreibst, berühren mich bis ins Mark – und sie wecken eine schier unbändige Sehnsucht danach, so etwas auch einmal zu erleben. Ich selbst habe vor vier Jahren begonnen, meine seit Jahrzehnten schwelende Neigung vorsichtig und behutsam auszuleben. Der Mann an meiner Seite hat selbst auch keinerlei Vorerfahrungen in diesem Bereich und so tasten wir uns gemeinsam vor, wobei unsere Entdeckungsreise stets den Gezeiten unterworfen bleibt. Manchmal haben wir monatelang nur zärtlichsten Blümchensex und dann wieder taucht sie plötzlich machtvoll auf, die Sehnsucht nach den dunkleren Gestaden der Lust. Gerade in den letzten Wochen spüre ich, dass da bei mir etwas aufbricht und ich gerne tiefer eintauchen würde. Ich empfinde deine Beiträge keineswegs als ernüchternd, sondern vielmehr als ermutigend. Danke dafür!

  8. Ich lese Deine Beiträge auch gerne; habe einige spirituelle Erfahrungen (finde übrigens toll, dass Du den Namen Gurdjeff kennst!). Mir wäre interessant gerade BDSM zu verstehen, deswegen sind Deine Reflexionen für mich richtig und wertvoll. Danke!

  9. Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die mit diesen Texten was anfangen können. Grad bin ich schreibmäßig ein wenig im Winterschlaf und zwinge will ich mich da zu nix…

    Wenn aber jemand mal ein Thema vorschlagen will: nur zu! :-)

  10. Obwohl ich deine Gedankengänge oft mag, dieser Interpretation kann ich mich nicht anschließen. „Unvollständigkeit des Selbstwertgefühls“ und „Knacks“ scheinen mir als Ursachen für die Lust an der Demütigung im SM Kontext ungeeignet. Das klingt mir zu defizitär. Ein Mensch kann ganz sein und ausbalanciert und hat trotzdem Freude an der Spielart „Demütigung“, die zugegebenermaßen nicht einfach ist. Und auch ein selbstbewußter Mensch hat Empfindlichkeiten, mit denen man einvernehmlich spielen kann. Zeig mir mal bitte einen anderen! Gibts nicht.

    Es geschieht persönliche Entwicklung, in dem Sinne, wie du die Geschichte der spirituellen Lehrerin beschreibst. Sich Situationen aussetzen, die man so nicht kennt, in vermeintlich negative Gefühle wie Angst, Scham reingehen, um sich selbst neu/anders zu erleben, das macht in der Tat vollständiger. Nur die Voraussetzung „Unvollständig“ lasse ich nicht gelten, zu viel negative Wertung. Demütigung ist eine Möglichkeit, Machtgefälle zu erzeugen und Machtgefälle ist die Voraussetzung für Kontrollaufgabe für eine ganze Reihe von Menschen, die den passiven Part übernehmen möchten.

  11. @Diablesse: ich gabe dir insofern recht, dass es keine Vollständigkeit im Sinne „frei von Schwächen“ gibt! Allerdings ist die eigene Haltung gegenüber diesen Schwächen eben ausschlaggebend, ob so eine Demütigung im BDSM-Kontext noch gelingen kann, bzw. überhaupt noch begehrt wird.

    Wenn ich nämlich INSOFERN vollständig bin, auch die eigenen Schwächen zu akzeptieren und mich ihrer nicht mehr zu schämen, dann bringt es auch keine einschlägigen Gefühlswallungen, wenn jemand diese Schwächen absichtlich thematisiert. Dann lebe ich in einem gelassenen „hier stehe ich und kann nicht anders – so what?“

    Klar kann mein Top „mit meinen Schwächen spielen“ – nur demütigt mich das nicht ernsthaft. Beim besten Willen nicht!

  12. Okay, nach der Lektüre dieses Posts mag ich meinen letzten Kommentar revidieren: Du hast die Demütigung NICHT vergessen, sondern du hast an anderer Stelle mit ihr abgerechnet.

    Eine Sache möchte aber nicht ganz in dein Nicht-Schema passen: Mein Partner liebt NS-Spiele. Ich kann so etwas sehr, sehr schwer ertragen, es demütigt mich, lässt mich mich schmutzig fühlen, ich mag es einfach nicht und lasse mich nur darauf ein, um ihm eine Freude zu machen.
    Dennoch reagiert mein Körper darauf ganz klar mit Erregung. Mein Körper, wohlgemerkt, nicht ich selbst (wobei ich mich langsam auch daran gewöhne). Wie interpretierst du das?

    Im Übrigen ist doch beim BDSM alles ein Spiel, also kann die Demütigung, die erlebt und genossen wird, doch nie eine wirkliche Demütigung sein. Das ist uns allen doch aber auch klar! Wir brauchen nur eine Definition, weil Menschen nun einmal Definitionsfetischisten sind. Man weiß, dass eigentlich alles nicht so ganz real ist, aber man spielt weiter, weil die Illusion, es sei real, so schön ist. Damit ist man dann glücklich.
    Aber dann ist doch alles in Ordnung! Pass doch bitte ein bisschen auf, dass du vor lauter Kritik und „Das ist eigentlich alles gar nicht so, wie es scheint“ nicht die Lust am Spielen verlierst, das kann nämlich sehr leicht geschehen…

  13. Pingback: Schadet Nachdenken der Lust am Spielen? » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

  14. @Anna: das mit NS ist m.E. die erotisierende Wirkung der Übertretung eines zivilisatorischen Tabus und Folge der Sauberkeitserziehung. Mir fällt dazu der Spruch ein: „So richtig obszön ist verboten erst schön“…

    Es kann auch sein, dass es nicht die Sache selbst ist, die dich erregt, sondern die Situation – im Sinne eines Genießens der (vermeintlichen) Machtlosigkeit… du machst es mit, um dich „als Sub“ zu fühlen – und das kickt ja dann doch.

    Sobald du gegenüber den Imperativen der Sauberkeitserziehung deine geistige Unabhängigkeit erkennst, ist das „NS-Spiel“ nicht mehr demütigend. Denn dann ist dir klar: Urin ist auch nur eine Flüssigkeit, sogar eine, die manche zu therapeutischen Zwecken trinken. Und duschen ist ja kein Problem…

    Aber ja, dann ist es vorbei mit DIESEM Spiel. Dann kommt wirklich nur noch „ihm zu Liebe“ in Betracht – dann aber nurmehr im gleichen Geiste, wie man ihm eben auch eine Strumpfhose anziehen würde, wenn er das unbedingt mal braucht… :-)

    Was nicht mehr kickt, vermisst man auch nicht.

  15. Pingback: Clus Best-of-Artikel für SM-Interessierte | In den Schattenwelten – Clus BDSM-Blog

  16. Ich danke Ihnen für den interessanten Artikel. BDSM kann einer Beziehnung viel geben. Wenn beide Partner sich da einig sind, kann es das Leben sehr bereichern.
    Mit besten Grüßen,
    Lara

  17. Ein wirklich interessanter Blog um mal etwas von der anderen, der Sub-Seite, zu erfahren. Besonders da häufig der Begriffe „Demütigung“ im Kontext von BDSM auftaucht welcher von vielen als Negativ interpretiert wird, finde ich es wichtig, das solche Beiträge hier aufklären können und zeigen: beide Seiten können grossen Spass daran haben und sogar an der Erfahrung wachsen.

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