Vom Vertrauen im BDSM

Vertrauen ist ein im BDSM-Zusammenhang häufig missbrauchtes Wort, denn es wird gern benutzt, um ganz andere psychische Befindlichkeiten zu beschreiben.

Etwa, wenn sich zwei Menschen treffen, die sich nur aus ein paar E-Mails kennen, und nun „ohne lange Vorlaufzeit“ eine Session miteinander wagen. Was Sub hier fühlt, ist nicht „Vertrauen“, sondern Hoffnung und Erlebnisgeilheit – zusammen mit der Spekulation, unter SMlern auch nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit auf einen Psychopathen zu treffen als bei einem normalen Date. Letzteres könnte man ja noch zur Wortbedeutung von „Vertrauen“ rechnen, doch wird hier nicht wirklich dem noch unbekannten Partner vertraut, sondern der allgemeinen Lebenserfahrung. (Die Konto-Zugangsdaten würde Sub ihm ja wohl nicht gleich geben, selbst wenn sie sich von ihm fesseln lässt.)

Mir scheint, dass umso mehr von Vertrauen gesprochen wird, je weniger es tatsächlich empfunden wird. (Das ist ganz ähnlich wie mit dem Begriff „sauber“: wer sowas in Kontaktanzeigen schreibt, hat meist ein Problem mit der Reinlichkeit und Hygiene.)

WORAUF wird denn nun eigentlich vertraut? Dass mein Gegenüber mich nicht vernichten und mir auch nicht wirklich schaden will? Dieses Vertrauen bringe ich den allermeisten Menschen entgegen, mit denen ich viel oder wenig zu tun habe. Es ist nichts Besonderes, sondern entsteht aus dem Vorwissen, dass es einen Grund für Feindseligkeiten braucht – mal abgesehen von Begegnungen mit Betrunkenen auf nächtlichen Straßen und Gelegenheiten, bei denen man zum Opfer krimineller Energie wird.

Dieses selbstverständliche Vertrauen ins grundsätzlich zivilisierte Miteinander muss ich nicht extra beschwören, bloß weil ich mit einem interessanten Mann in SMige Aktivitäten einsteige. Tue ich es doch, bedeutet das, dass ich grundsätzlich der Meinung bin, SMler seien gefährliche Typen, die nur auf naive Opfer warten, um mit ihnen Dinge anzustellen, die sie nicht wollen. Und dass ich mir nicht sicher bin, ob mein „Top in spe“ nicht auch so ein Böser ist…

Persönliches Vertrauen

Gehen wir also im weiteren davon aus, dass sich ganz normale SMler treffen, die miteinander die Neigung ausleben wollen und voneinander wissen, dass ANDERES nicht gewollt ist. Nehmen wir weiter an, die beiden schaffen den Einstieg zu beiderseitigem Gefallen und es entsteht eine Beziehung: Was heißt DANN Vertrauen?

Oft wird gesagt, Sub müsse Dom vertrauen, wenn es um neue Herausforderungen und Praktiken geht. Etwas, wovor Sub Angst hat, trotzdem wagen, weil da einer ist, der mit oder ohne Worte sagt: „Komm, lass die Kontrolle los, vertraue mir! Du weißt doch, dass ich dir nichts wirklich Böses will – sondern nur das antue, was als „Böses als ob“ unser beider Lust dient“.

Ja, das kann sehr ermunternd und unterstützend sein, wenn es darum geht, Mut zu fassen – ganz wie im normalen Leben der motivierende Zuspruch bei Angelegenheiten, vor denen man sich ein wenig ängstigt.

Was allerdings durch „Vertrauen“ in eine andere Person NIEMALS gewonnen werden kann, ist das Wissen um die eigenen Reaktionen: das entsteht allein in der Erfahrung selbst. Und die ist immer individuell: auch ein noch so erfahrener Top kann nicht garantieren, dass eine Praktik und Intensität, die bei all seinen bisherigen Subs „gut angekommen“ ist, nicht bei der nächsten den totalen Absturz bewirkt. VERTRAUEN kann sich hier einzig darauf beziehen, dass er sich im Fall des Falles auffangend und tröstend verhalten wird – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Selbstvertrauen

Wenn mir also ein Top etwas zumuten will, das mir Angst macht, dann hilft mir kein Vertrauen in IHN – bzw. nur insoweit, dass ich weiß: wenn es floppt, wird er sich lieb um mich kümmern.

Tatsächlich bin ich mit der Entscheidung, die Dinge geschehen zu lassen (oder eben nicht) doch ganz alleine. Das Hineinsteigern in „Machtlosigkeit“ ist aus meiner Sicht eine psychische Krücke, um dieses Spannungsfeld aus der Geilheit der Neigung heraus zu durchschiffen. Denn tatsächlich sind Subs ja nie machtlos, sondern können jederzeit den Konsens zurück ziehen (spätestens die Worte „ich brauch einen Arzt“ stoppen jeden Top, der kein Irrer bzw. Straftäter ist).

Kurzum: wenn ich vor etwas Angst habe, fürchte ich in der Regel physische oder psychische Schmerzen. Und je nachdem, wie groß mein Selbstvertrauen ist, damit auch umgehen zu können, desto bereiter werde ich sein, mich den Machenschaften von Top „hingebungsvoll“ zu überlassen. Das schließt – je nach bevorzugtem SM/DS-Stil – auch Widerstand und Kontroverse, Leiden und schiere Verzweiflung daran mit ein. Letztlich bin ich es selbst, die sich dieses Erleben zumutet, bzw. zumuten lässt. Top hilft mir lediglich dabei, Gefühlszustände zu erleben, die ich im Alltag mit Erfolg vermeide.

Tops Vertrauen

Top ist in SMigen Konstellationen vermeintlich der „Böse“, zumindest der Fordernde, der Kreative und Aktive. Sein Vertrauen in Sub richtet sich auf die „Nicht-Vermischung“ der SM-Ebene mit den Bewertungen des alltäglichen Lebens. Eine Sub, die erst „bös behandelt“ und gedemütigt werden will, aber hinterher sauer ist, enttäuscht das Vertrauen des dominanten Parts. Denn sie schiebt ihm die Verantwortung für ein unerfreuliches Erleben zu, das im Konsens unternommen wurde. (Damit meine ich nicht sachlichen Austausch und „Manöverkritik“ über das jeweilige Erleben!).

Kein Vertrauen, sondern Risiko

Geht es um Praktiken und Stress-Varianten, die ich so noch nie erlebt habe, gerate ich manchmal in Zustände der Verwirrung und Unsicherheit: Ist das jetzt vielleicht schon ungesund – oder noch im Rahmen erwünschter „grenzwertiger“ Action?

Diese Momente können ganz schön an die Nieren gehen (im übertragenen Sinn! ;-) – doch gerade da wäre die Rede vom Vertrauen ein Irrtum. Top steckt nicht in meinem Körper, verfügt nicht über die Signale der Sinne, sondern bemerkt nur meine Reaktionen, die ja – ganz in Konsens – durchaus drastisch sein dürfen, ohne dass er abbrechen muss. Wie soll ER also wissen, wie weit er noch gehen kann, bzw. wann er besser einen Gang herunter schalten sollte?

Er KANN es nicht wissen, und je kürzer man sich kennt, desto weniger. Wenn ich ehrlich in mich hinein schaue, liegt mir der Gedanke an „Vertrauen“ in solchen Momenten auch völlig ferne. Denn auch mit bestem Willen und größter Sensibilität seinerseits ist es doch MEINE Wirbelsäule, die sich da grade in einer Bondage biegt – und vielleicht auf eine Art, die nicht mehr so gut ist und besser beendet werden sollte.

Da ist es dann allein meine eigene Risiko-Abschätzung, die mir sagt, ob ich jetzt besser Top bitte, Gnade walten zu lassen (oder auf andere Art vermittle, dass es hier nicht weiter gehen darf) – ODER ob ich das noch ein wenig aushalten will und mögliche Folgen eben in Kauf nehme. Das meint „Risc aware“: Droht nur ein mehrtägiger Muskelkater – oder riskiere ich grade Schlimmeres? Kein Top der Welt kann Sub aus solchen Abwägungen befreien.

Was – mal jenseits allen geilen Kopfkinos – ja auch sehr in Ordnung ist!

3 Kommentare

  1. dann lasse ich mal einen kommentar hier ;-)
    ich freue mich, diese website gefunden zu haben. ich habe nur einige seiten gelesen und es wird dauern bis ich die anderen gelesen haben werde, denn ich habe nur eine begrenzte zeit dafür. aber schon jetzt habe ich den eindruck, dass hier eine person schreibt, deren ansichten und einsichten profund und durchaus auch selbstkritisch-unverklärt sind. etwas was mir sehr gefällt, weil ich menschen schätze, die auf der suche nach „wahrheit“ sich trauen, auch in die ecken zu sehen, die sie eigentlich unpassend, verängstigend, verstörend oder beunruhigend finden. gewissermassen jenseits der klischees denken können. ich freue mich …

  2. Hallo Clu, du hast recht (sagte ich ja), der Artikel war für ein Piercing- Forum geschrieben, unter anderem auch, um dort vorhandene Vorurteile (siehe Abschnitt „Toleranz“) gegenüber andersfühlenden Mitmenschen zu mildern und den Bezug Piercen – SM klarer herauszuarbeiten.
    Zum eigentlichen Thema gehört nur „Vertrauen vom Standpunkt eines liebenden Doms / einer liebenden Domme“ – exakt auf mich bezogen: nur aus meiner Sicht (siehe: wer sucht, der findet ganz leicht jene Textstellen, die sich auf das Thema „BDSM“ beziehen. „Vertrauen“ wird hier aus der Sicht dessen beschrieben, der die Küsse der Gerte schenkt. Um es aber ganz präzise zu sagen: man / frau darf KEINEN Anspruch auf Allgemeingültigkeit ableiten, denn es handelt sich um eine ganz konkrete Haltung / Handlungsweise – nämlich um meine …)
    Wenn du magst, kannst du nur diesen Teil so gegen Ende des Artikels herauskopieren und verwenden, ich bin aber nicht beleidigt, wenn du es nicht tust.
    Deine Artikel verlangen Mitdenken, aber sie lesen sich recht angenehm (Wortschatz, Syntax, Aufbau …), sind interessant und bieten einen wohltuenden Kontrast zu den oft grauenhaft fehlerbestückten Texten in diversen anderen Foren jeglicher Art. Gruß ha

  3. Irgendwie hineingestolpert und das gleich als ersten Text.
    Vertrauen ist mir wichtig. So wichtig, dass ich es als „falsch“ ansehe, darüber zu sprechen. Wer mir sagt: „Vertraue mir“ oder „Du kannst mir vertrauen“, der hat eben dieses Vertrauen gerade in Frage gestellt, wenn nicht gar verspielt. Ebenso ist die Frage „Vertraust du mir?“ ein absolutes Tabu. Entweder jemand vertraut oder er lässt es. Das kann man nicht erfragen, erzwingen oder erbetteln.
    Was Vertrauen an sich ist, ja, das hat der Artikel interessant hinterfragt. Da werde ich bestimmt noch ein paar Tage drüber grübeln, was Vertrauen für mich bedeutet.

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