Konsens und Meta-Konsens im BDSM

Bei kaum einem Thema gibt es solche Kontroversen und Missverständnisse wie in Bezug auf den berühmten „Konsens“, der dem gemeinsamen Ausleben der Neigung voraus geht, bzw. dazu gehört wie die Luft zum Atmen. Ohne Konsens kein BDSM: wer als Sub nicht damit einverstanden ist, im gesetzten Rahmen z.B. Schmerz oder Demütigungen zu erleben, der ist ganz klar ein Opfer von Straftaten, wenn solches dennoch geschieht. Denn allein die Einwilligung ist es, die den Unterschied zur Straftat (z.B. Körperverletzung, Nötigung etc.) ausmacht. Wird sie entzogen, muss alle Aktion enden – rein rechtlich ist das so, egal ob man nun „mit oder ohne Stoppwort spielt“.

Damit könnte eigentlich alles sonnenklar sein, wäre da nicht der paradoxe Charakter der Neigung: Oft genug handelt das submissive Kopfkino davon, Spielball der (sexuellen, dominanten und/oder sadistischen) Lust des Tops zu sein: machtlos und ausgeliefert, physisch oder psychisch gezwungen, Dinge zu tun und hinzunehmen, die man (eigentlich…) gar nicht will. Gerade darin liegt für viele der Kick, ebenso wie es für den Aktiven eine geile Vorstellung ist, mit Sub nun „alles machen“, bzw. alles fordern zu können, ob es gerade gefällt oder nicht. Im Zentrum der Neigung gibt es also ein Element des „erwünscht Nicht-Einvernehmlichen“, das erst den eigentlichen Reiz ausmacht: der irrationale, absurde Kern im BDSM, mit dem jedes Paar seinen ganz persönlichen Umgang finden muss.

Neigungsfragebogen und Tabu-Katalog

Manche versuchen, die Kluft zwischen der Notwendigkeit eines Konsens über das gemeinsame „Spielen“ und den gegenläufigen Fantasien und Wünschen mittels eines Neigungsfragebogens zu begegnen. Unglaublich, was es da für detaillierte Listen gibt, in denen man jede hinterletzte Praktik genauestens bewerten kann: wünsch‘ ich mir, will ich ganz bestimmt nicht, kann ich mir unter Umständen vorstellen usw. usf. Für mich ist so ein Fragebogen der Abturner schlechthin, stört er doch mit seiner klinischen Detailliertheit massiv die brisant-romantische Atmosphäre der Annäherung und vermittelt zudem den Eindruck, als hätte Top keine Zeit und Lust, Sub selber zu erforschen – und eben auch zu reden, wenn Fragen aufkommen. Hinzu kommt, dass kaum jemand von sich selbst genau weiß, was denn nun von all diesen Praktiken gewünscht, bzw. nicht gewünscht wird. Zwar wird das mit zunehmender Erfahrung besser, doch bleiben ja allermeist weite Felder des noch Unbekannten, die nur dann – vielleicht – realisiert werden, wenn ein Partner genau diesen Kick schätzt und es versteht, die Sache Sub nahe zu bringen.

Da der Fragebogen also immense Nachteile hat, ziehen es viele vor, einfach Fantasien und Kopfkino-Szenen auszutauschen und ein paar „Tabus“ zu benennen: Dinge, die man sich beim besten Willen nicht als lustvoll vorstellen kann und deshalb „im Konsens“ ausschließen möchte. Sub gibt also eine Art „beschränkte Generalvollmacht“, in deren Rahmen Top „machen kann, was er will“.

Damit erscheint nun alles erst mal „in trockenen Tüchern“, der Rahmen ist gesteckt, der Konsens steht und das lustvolle Spiel mit Körper und Psyche kann beginnen.

Fantasie trifft Realität

In der Praxis machen nun die allermeisten früher oder später die Erfahrung, dass nicht alles, was im Kopfkino anturnt, in der Praxis auch entsprechend Lust bereitet. Man kann sich in der Fantasie als „schwer malträtiertes Opfer“ sehen und das einfach nur geil finden, wogegen in der Realität auf einmal Schmerz echter Schmerz ist, die Fesselung evtl. wirklich beängstigt und die Lust an der Sache sich einfach nicht einstellen will, bzw. auch ganz plötzlich verschwinden kann. Was dann? Verschärft wird die Lage oft noch durch einen neuen, nicht besonders vertrauten Partner, dem gegenüber man gerne alles richtig machen möchte – und gleichzeitig kämpft man innerlich mit dem Selbstbild: hab ich mich geirrt? Bin ich hier vielleicht doch im ganz falschen Film??

Um das heraus zu finden, hilft nur eines: weiter experimentieren und sich „danach“ mit dem Partner über das Erlebte austauschen. Genau wie Vanilla-Sex klappt auch SM meist nicht gleich beim ersten Mal wie erträumt, sondern bedarf längeren Übens, in dessen Verlauf man auch ein paar Frustrationserlebnisse verkraften können muss. Körper und Geist müssen sich auf die Szenarien einstellen, erst dann besteht die echte Chance, ins „SMige Genießen“ zu gelangen, das zudem von Person zu Person recht unterschiedlich ausfallen kann.

Dieses „sich aufeinander einspielen“ bezieht sich nicht nur auf physische Praktiken, sondern viel mehr noch aufs psychische Setting und die Art der Kommunikation: die einen mögen den provozierenden, kontroversen Stil, in dem Dom auch verbal versucht, Sub möglichst weit nach „unten“ zu bringen. Für andere wäre genau das das AUS. Sie wollen oder können eine SM-Session nicht als „zweite Wirklichkeit“ mit anderen Vorgaben akzeptieren – also MUSS auch innerhalb der Session alles hoch harmonisch bleiben (oder aber die GANZE Beziehung ist rein sadomasochistisch und lässt eine „Alltagsnormalität“ gar nicht zu).

Konsens und Stoppwort

Wie steht es nun aber mit dem Konsens in den Momenten, in denen Sub merkt: halt, das macht mir ja gar keine Lust, das finde ich jetzt einfach nur ätzend ? Auch Top kann das zustoßen, doch ist der Aktive ja schon von der Rolle her „ermächtigt“, einfach mit allem aufzuhören, was sich als wenig lustvoll erweist.

Das Stoppwort, das viele Paare, insbesondere solche, die sich erst kennen lernen, für diesen Fall vereinbaren, verschafft hier eine (begrenzte!) Sicherheit, in der es leichter fällt, Risiken einzugehen und Dinge auszuprobieren, die auch ein wenig Angst-besetzt sind: wenn ich weiß, dass ich jederzeit die Szene stoppen kann, wage ich mehr als ohne diese Möglichkeit. Das Stoppwort ermöglicht es Sub, Widerstand und Ablehnung auszudrücken, ohne dass Top dies als echtes Abbruchverlangen interpretieren muss – eine gute Hilfe, wenn man sich noch nicht so genau kennt.

So zumindest erscheint das zu Anfang, wenn noch kaum Erfahrungen da sind, auf denen man aufbauen kann. Tritt dann aber der Ernstfall ein und Sub beginnt tatsächlich, über das Stoppwort „nachzudenken“, wird auch die Begrenztheit dieses „Schutzes“ deutlich: Genau dann nämlich, wenn physisch oder psychisch an Grenzen gegangen wird, treten Gefühle auf, die es verunmöglichen können, das Stoppwort zu benutzen (z.B. Wut, Stolz, Trotz etc.). Gleichzeitig wird auch immer deutlicher, dass ein Stoppwort ja tatsächlich überflüssig ist, denn wenn Sub „wirklich nicht mehr will“, dann reicht allein die erkennbar ernst gemeinte Ansage und Top muss folgen – aus rechtlichen Gründen (siehe oben), meist aber auch aus beziehungstechnischen Gründen. (Wer will schon einen Absturz riskieren, bzw. Subs Vertrauen verlieren?)

Auf Sub-Seite stellt sich auch eine weitere Erfahrung ein, die simplen Betrachtungsweisen entgegen steht: Obwohl es in einer Session Phasen und Momente geben kann, in denen sich Sub weit weg wünscht und vielleicht bedauert, sich in diese Lage gebracht zu haben, so schlägt das Pendel doch auch genauso schnell wieder um ins Lustvolle: das Erotisieren der Zumutungen gelingt quasi „stotternd“, es ist ein ständiges Oszillieren zwischen Lust und Frust, das den Reiz ausmacht. Oder aber „im nachhinein“ erscheinen gerade die grenzwertigen Szenen als besonders geil und Sub erlebt im ganz persönlichen Kopfkino Sternstunden, die ohne dieses „echte Leiden“ nicht zu haben gewesen wären.

Metakonsens

So kommt es, dass Erfahrenere zunehmend von einem Metakonsens sprechen, der ihr „Spiel“ ermöglicht: Sub ist damit einverstanden, von Top ins Reich der dunklen Gefühle geführt zu werden, also auch Phasen reinen Schmerzes, der Frustration und Wut, der Demütigung und Furcht vor bestimmten Dinge zu erleben, manchmal bis hin zu Tränen und Verzweiflung. Alles „echt“ im Sinne von „wirklich gefühlt“, aber eben komplett entkleidet von der üblichen, normalen Alltagsbedeutung solcher Gefühle, sowie OHNE entsprechende Folgen auf der Beziehungsebene. Sub bleibt selbst während der heftigsten Action und extremster Gefühlswallungen bewusst, dass sie es selber ist, die genau das erleben will, und dass Top derjenige ist, der freundlicherweise dank seiner komplementären Neigung diesen Wunsch erfüllt. (Man sieht hier auch gleich, wie absurd bzw. bloß „Kopfkino-bedingt“ das Geschimpfe auf den „Wunscherfüller-Dom“ ist, denn Subs Wunsch, mit wirklich Unerwünschtem konfrontiert zu werden bzw. „an den Grenzen zu spielen“, entzieht dieser Rede jeglichen Boden).

Der harmonische Stil

Damit kein falscher Eindruck entsteht, sei hier noch deutlich angemerkt: Nicht alle SMler/innen gehen diesen Weg. Manche erkennen auch, dass ihre Fantasien in der Realität keine Entsprechung finden und/oder dass sie z.B. nur ganz bestimmte Praktiken zur Steigerung des sexuellen Erlebens wirklich lustvoll finden: Schläge können sehr sexy wirken, aber auch zur Verzweiflung treiben, Fesselungen können entspannen, ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln und Lust an „erotischer Ausgeliefertheit“ vermitteln, aber auch in unbequeme Haltungen zwingen und Schmerzen erzeugen. Es gibt viele, die für sich heraus finden, dass sie nur die softe, der explizit erotischen Lust förderliche Variante mögen – womit die Notwendigkeit eines Metakonsens entfällt: was geschieht, ist bis ins Detail einvernehmlich und soll auch gar nicht anders erlebt werden.

NonCon-Fantasien

Weil es jemand in den Kommentaren angesprochen hat: Nahezu das gesamte SM-Kopfkino hat Aspekte der „Nicht-Einvernehmlichkeit“, wie oben ausgeführt. Das kann individuell mehr oder weniger extrem sein, doch in der Regel wird ja nicht „die einvernehmliche SM-Session“ fantasiert, sondern Szenen, die im Alltag herein brechen und ihren (ambivalent geilen) Schrecken entfalten: Rape-Fantasien, „Fremdbenutzungen“, ausgestellt werden, Entführungen mit Langzeit-Versklavung, Gangbangs, extreme Torturen und Demütigungen – die Fantasie kennt kaum Grenzen und bedarf der kontrollierten Umstände und Absicherungen einer expliziten SM-Session bzw. SM-Beziehung nicht.

Solche Fantasien erzeugen zunächst Schuldgefühle (Himmel, wie bin ich pervers, dass ich mir SOWAS erträume!), doch nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass diese Filme nicht bzw. nur zum kleinsten Teil Drehbücher fürs reale Erleben sind, sondern eine psychische Träumerei eigener Art: Wichsfantasien, die man als solche genießen kann, die aber nicht bedeuten, dass man das alles wirklich so 1:1 „in echt“ erleben will.

Beschreiben ist auch Erleben

Wer diese Fantasien als allzu verstörend empfindet, dem rate ich, sie aufzuschreiben: ganz detailliert und nichts auslassend. Man schreibt dabei den eigenen Film im Kopf nieder und kann so viel besser in jedem Moment die Szene „anhalten“ und hinein spüren: Was ist es, was da kickt? Nicht analysierend, sondern immer genauer beschreibend nähert man sich so dem irrationalen Kern der eigenen Neigung und wird interessante (Selbst-)Erfahrungen machen.

Das extreme Kopfkino schreibend „auszuleben“ verändert nach einiger Praxis diese Fantasien. Wie sehr und in welche Richtung, muss jeder selber ausprobieren. Kommt gleichzeitig noch reale SM-Praxis hinzu, mit einem Partner, dem man vertraut und mit dem man sich über das eigene Erleben offen austauschen kann, wird man bemerken, wie die „perversen Spitzen“ abflachen und das nicht lebbare Extreme verblasst.

2 Kommentare

  1. Pingback: BDSM versus Alltag: Was ist Dominanz ? » Clus BDSM-Blog vom Yoga der dunklen Erotik

  2. Liebe Clu,
    ich lese seit längerem Deine Artikel, und sie helfen mir sehr, manches besser zu verstehen. Ich möchte heute auch mal einen Kommentar hinterlassen.
    Du hast in Deinem Artikel sehr gut ausgedrückt, was ich auch erfahren habe: die Konfrontation der Kopfkino-Szenen mit der Session-Praxis führt dazu, dass sich die wirklich erlebbaren Beiträge zum Kick von solchen trennen, die „nur“ in der Phantasie erregend sind. Zur Frage Konsens nach Absprache, Selbstauskunft-Fragebogen oder scheinbare Tabubrüche im Rahmen eines Meta-Konsens – der Einstieg ins Reden fällt zwar schwer, aber es lohnt sich, den Grenzweg zu suchen, der offene Kommunikation erlaubt und Zerreden verhindert. Jeder muß dazu den besten weg selbst ausprobieren, ob nun nach einer Session oder unabhängig. Letzteres kann in eine ganz interessante Session münden …

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