Kitzeln – ist das schon SM?

Kitzlige Situation - Foto von Madame La BelleWährend mancher, der auf Kitzeln und gekitzelt werden (engl. tickling) steht, sich diese Frage stellt, scheiden sich unter SMler/innen die Geister, ob das vermeintlich harmlose Vergnügen denn „noch“ zu SM zu zählen sei: schließlich macht das jeder mal, der Partner wird eine wenig geneckt und provoziert und im darauf folgenden erotischen „Nahkampf“ wird schon auch mal gekitzelt, was das Zeug hält.

Als ich kürzlich eine Diskussion darüber mitlas, hat mich nicht wenig gewundert, dass manche Menschen, die kein Problem damit haben, sich fesseln und schlagen zu lassen, beim Kitzeln völlig „aus der Rolle fallen“: Da ist Schluss mit lustig und Ende der Fahnenstange in Sachen „submissiver Hingabe“ – Kitzeln ist eben nicht jedermans/jederfraus Sache. Vermutlich, weil es tatsächlich schlecht erotisierbar ist, weil es der genitalen Erregung zuwider wirkt – oder was meint Ihr?

Die Frage, ob es sich dabei um eine sadomasochistische Praktik handelt, ist eigentlich müßig, doch beantworte ich sie für mich mit einem klaren JA. Kitzeln und gekitzelt werden ist „Freude am Quälen und gequält werden“: jedes Kind spielt gerne damit und viele Erwachsene, die im Leben nicht an BDSM denken, tun es ebenso. Was nur wieder zeigt: wenn man auf die Aktionen selber schaut und nicht auf die Worte, dann ist Sadomasochismus alles andere als das Vergnügen einer kleinen Minderheit! :-)

Kitzeln in der Session

Kitzeln in der SessionGefesselt und wehrlos zu sein ist eine bei vielen „Subs“ sehr erwünschte Situation – natürlich im einvernehmlichen Rahmen, doch will man das Gefühl der Machtlosigkeit definitiv auskosten. Manchen genügt bereits die physische Fesselung, die eine Basis für erotische Stimulationen abgibt, gegen die Bottom sich dann nicht wehren kann – mal angenommen, das würde gewollt. Vielen reicht das allerdings nicht, es müssen Dinge passieren, die (vermeintlich…) ungewollt sind: Schmerzen, Unbequemlichkeiten – und eben auch gekitzelt werden.

Obwohl dabei viel gelacht wird, ist Kitzeln nicht etwa „ganz harmlos“, sondern kann eine heftige Quälerei darstellen, die schnell zur Erschöpfung führt. Und gerade das kann man nutzen, bzw. sinnvoll einbauen. Wer ein relativ unbewegliches Büroleben vor dem Monitor lebt, hat es oft schwer, in einer Session nun wirklich „im Körper anzukommen“ und von den Alltagsgedanken und auch jeglicher Grübelei über das, was jetzt geschieht oder geschehen sollte, Abstand zu nehmen. Sich körperlich auszuagieren ist ungemein hilfreich, um zu einem spontanen Dasein und Genießen im Augenblick zu kommen – Kitzeln erreicht das oft schneller und vollständiger als mehr oder weniger kontrollierte Schläge.

Da der Punkt des „nicht mehr Aushaltbaren“ sehr schnell erreicht wird, ist Kitzeln auch eine gute Möglichkeit für Top, Sub selbst eine andere Methode vorschlagen zu lassen, um Tops Lust zu dienen und dafür vom Kitzeln verschont zu werden. Also eine „Weiche“ im Rahmen der psychischen Interaktion und Kommunikation, die auf ungebrochen dominante Weise Sub Gelegenheit gibt, auf den weiteren Verlauf der Session Einfluss auszuüben (ob die vorgeschlagenen Alternativen verwirklicht werden, bleibt ja weiterhin Tops Entscheidung).

Auf der Sub-Seite ist ein Phänomen interessant, das sich nach einiger Zeit einstellt: irgendwann (je nach steigendem Erschöpfungsgrad) gelingt die „totale Entspannung“, die das Kitzeln ins Leere laufen lässt – allerdings immer nur kurz, wenn Top dann wieder die Stellen wechselt oder mehrere auf einmal kitzelt. Diese Art, sich ganz zu entspannen und damit jegliches Aufspringen auf von außen kommende Reize (physischer und psychischer Art) zu konterkarieren, empfinde ich als eine ungemein nützliche Kompetenz, auf die man dann auch im Alltag bauen kann: Sich aufregen und wehren ist Verspannung und braucht Energie – wie spannend, dass man dem Reiz / der Zumutung AUCH entgehen kann, indem man den Impuls, sich aktiv DAGEGEN zu stemmen, einfach loslässt. (Wegen solcher Aspekte hieß dieses Blog zu Beginn „Vom Yoga in den Schattenwelten“).

Dominanz, Unterwerfung (D/s) und Kitzeln

Kitzeln ist unzweifelhaft eine Methode, heftige Emotionen (inkl. Gegenwehr) bei Sub hervorzurufen. Wer gekitzelt wird, kann sich in der Regel nur kurz beherrschen – und in vielen BDSM-Beziehungen ist es ja gewünscht, dass Top das „Herrschen“ übernimmt, jeweils in dem Rahmen, den das Paar vereinbart. Kitzeln kann demnach eine Praktik sein, die schnell klärt, wie groß der von Sub gesteckte Rahmen tatsächlich ist, denn oft genug geht die Fantasie ja viel weiter als es in der Realität dann umgesetzt werden kann. Ein Sub, der von sich sagt, er werde „alles tun und ertragen“, um Tops Lüsten zu dienen, wird schnell belehrt, dass es sich hierbei um „Kopfkino“ handelt, wenn er schon beim Kitzeln komplett aussteigt!

Kitzeln kann also Gradmesser für Subs emotionale Flexibilität und Bereitschaft sein, sich auf die „Achterbahn der Gefühle“ schicken zu lassen, die auch mal nach „ganz unten“ führen kann – und zwar auf von außen gesehen recht „harmlose“ Art. Damit will ich nicht sagen, dass jeder und jede Kitzeln einbeziehen sollte oder müsste, bewahre! Es ist jedem Paar selbstverständlich überlassen, auf welche Weise es den ureigenen BDSM lebt. Manchmal, aber nur manchmal, kann diese Praktik aber größere Klarheit bringen über die Richtung, in die es miteinander gehen kann: wie weit und wie intensiv auch nicht explizit erotische „Zumutungen“ dazu gehören sollen oder nicht.

Ich bedanke mich bei Madame La Belle Mere, die die Bilder für diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat! (Fotograf: Woschofius)

3 Kommentare

  1. Ich stelle mir das auch bei Anfängerszenen nützlich vor. Vor allem wenn es mit leichten Fesselspielen oder ähnlich physischem kombiniert wird.

    Zum einen bricht es ein bisschen den forcierten Ernst, zum anderen stellt es das Machtverhältnis recht schnell klar. Und all das ohne auf irgendwelche BDSM Standardpraktiken zurückgreifen zu müssen. Kitzeln ist eben jedem vertraut.

    Nach kurzer Zeit kann man ja mit einem „Wenn du jetzt ganz brav bist und folgendes zu meiner Zufriedenheit tust, hör ich mit dem Kitzeln erstmal auf“ die Kurve zu sexuelleren Handlungen kriegen. Das Kitzeln kann dann ja für den Rest der Szene eine Drohung bleiben.

    Soweit die Theorie. Nachdem ich das mit meiner noch unentschiedenen aber neugierigen Partnerin ausprobiert hab, kann ich ja ein Erfahrungsbericht abgeben. *lacht*

  2. Ich als bekennende und diagnostizierte Hypersensible Persönlichkeit – einen Test für Interessierte gibt es unter: http://www.zartbesaitet.net/hsptest_neu/ (bei mir 286 Punkte) – kann dazu nur sagen, dass Kitzeln DEFINITIV Qualität als SM-Praktik hat. Ich erlebe und genieße immer wieder gern die Reaktion meines Gegenübers selbst auf kleinste Berührungen und stärkste Reize. Das Kitzeln ist eine Mischform, die nicht wirklich schmerzt, im Gehirn aber den gleiche Reaktion auslöst, was an sich schon ein Paradoxon darstellt. Da bewusste Wahrnehmung diesen Pseudo-Schmerzreiz nicht erfassen kann, sondern die körperliche Reaktion reflexartig und völlig unbeeinflussbar abläuft, stell Kitzeln für mich eine der intensivsten Praktiken zur sensorischen Reizauslösung und daraus resultierender tiefer Entspannung dar.

    Ohne möchte ich nicht sein!!! *daumenhoch*

  3. Interessanter Beitrag – aber ein Punkt ist einfach nur Humbug: nämlich, dass Kitzeln schlecht erotisierbar sei. der Übergang von Streicheln und Fummeln zu Kitzeln ist doch sehr fliessend. Und das Festhalten und die unwillkürlichen Zuckungen des Gekitzelten führen oft zu ziemlich viel Körperkontakt und Aneinanderschmiegen. Ziemlich viel Erotik für etwas, das angeblich schlecht erotisierbar sei.

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