Wenn Schmerz zur Massage wird

Flag-SzeneJemand, der mit dem Joggen anfängt, kann bekanntlich furchtbar unter der Anstrengung und ungewohnten Bewegung leiden, doch wenige Monate später ist die morgendliche Jogging-Runde zum Lusterlebnis geworden: Man kann danach süchtig werden, sagen viele, die gerne laufen.

Der Körper passt sich im Lauf der Zeit an, lernt, aus der neuen Anforderung das Beste zu machen und schüttet hilfreiche Hormone aus, die die ehemals schmerzliche Anstrengung angenehm machen.

„Fliegen“ ist manchmal nicht genug

Nicht viel anders ist es mit den Formen masochistischer Lust: Es ist LERNBAR, eine Flag-Session zu genießen. Mit zunehmender Übung und einem kompetenten Top hebt sich die Schmerzschwelle: Was früher nur weh tat, wird zur angenehmen Massage – und wenn das auf dem Level hoher Intensität passiert, machen die ausgeschütteten Endorphine das ganze zu einem beeindruckenden Rauscherlebnis. Manche nennen es „Fliegen“.

Eigentlich wunderbar – oder nicht? Die einen laufen Marathon, die anderen haben Freude am Gehauen werden, wo ist das Problem?

Aus vielen Forendiskussionen und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es eben nicht ganz unproblematisch ist, wenn das ehemals schmerzliche und ensprechend aufwühlende Erleben zur „interessanten Körperarbeit“ verkommt. Masochismus hat viele Facetten, nicht nur die eine, die den Schmerz in physische Lust verwandelt und das dann einfach genießt.

Die Sehnsucht nach dem Grenzwertigen

Es gibt auch die Sehnsucht nach dem Schmerz, der im Empfinden Schmerz bleibt, denn ihn zu konfrontieren, ist eine Herausforderung, die die Tür zu anderen Erfahrungswelten öffnet, jenseits der Landschaft der einfachen Lüste. Sich dem aussetzen, was man üblicherweise vermeidet, ist ein Abenteuer, das bestanden werden will – sei es, weil es in der persönlichen Geschichte dafür Gründe gibt, sei es, weil man sein sogenanntes „normales Leben“ so erfolgreich befriedet hat, dass eine Sehnsucht nach dem Drastischen, nach heftigen Gefühlswallungen entsteht, die die Psyche die eben auch mal wieder erleben will.

Was man auf der Sub/Maso-Seite PSYCHISCH von einer Session will, kann sich also drastisch unterscheiden:

1.) einfach lustvoll den Rausch genießen (der am besten immer weiter gehen soll…)

2.) ODER eine „Achterbahn der Gefühle“ mit hoher PSYCHISCHER Beteiligung und dem Durchlaufen verschiedener „negativer“ Gefühle (Ärger, Wut, Trotz, Selbstmitleid, Heulen etc.), die in einer Katharsis enden, mindestens aber in großer Erschöpfung.

Meine Erfahrung sagt, dass man nicht BEIDES auf einmal haben kann. Wenn sich aufgrund häufiger Praxis und Gewöhnung die Fähigkeit erweitert hat, Schmerz in Lust zu verwandeln, bzw. nur noch als Massage-Reiz zu spüren, ist natürlich die „Achterbahn der Gefühle“ nicht mehr so einfach zu haben. Erst recht nicht, je mehr man mit sich, mit der eigenen Neigung und mit dem konkreten Partner „im Reinen ist“, also weder die Beziehung noch das Selbstbild Konfliktpotenzial beisteuern.

Höher, schneller, weiter?

Für viele öffnet sich an dieser Stelle der Weg ins „höher, schneller, weiter“. Um noch irgendwie „in die Bredouille zu kommen“ wird nach immer intensiveren Spielweisen gesucht, an die sich der Körper noch nicht gewöhnt hat, vielleicht auch gar nicht gewöhnen kann. Manche sprechen davon, dass sie das geradezu „suchtartig“ erleben und tatsächlich fürchten, den Blick für das richtige bzw. noch unschädliche Maß zu verlieren. Eine ungute Entwicklung!

Kann man sie vermeiden? Ich denke, ja! Doch nur, indem man das eigene Erleben und Verlangen unvoreingenommen reflektiert und mit dem Partner darüber redet. Beziehungen, die keine Ebene „gleicher Augenhöhe“ mehr zulassen, wird das schwer fallen, zumindest dann, wenn ein freies Reden über Subs Bedürfnisse und Doms Vorgehensweisen, seine physischen und psychischen „Session-Techniken“ gar nicht drin ist. Man will ja nicht „spielen“, es soll alles „ganz echt“ sein, was für nicht wenige eine Diskussion der Session-Praktiken ausschließt.

Doch es kommt nun mal in hohem Maße auf Top an, ob und inwieweit Sub dem „höher, schneller, weiter“ verfällt, wenn ein bestimmter Level an Behandlungsintensität nicht mehr dieselben Effekte vermittelt wie zu Beginn. Üblicherweise ÜBT ja auch Top, ein immer „besserer“ Quälgeist zu werden, was quasi automatisch auf Sub-Seite zur optimalen Anpassung führt – also ‚rein in den bloßen „Lustschmerz“, der zwar ein schönes Rauscherlebnis vermittelt, aber nicht mehr BRISANT ist.

Um dann doch wieder die auch gefühlt „harte Tour“ zu erleben, muss Sub um ihre Bedürfnisse wissen und mit dem Partner reden. Denn dafür muss Top es darauf anlegen, Sub eben NICHT ins „rauschhafte Fliegen“ zu katapultieren, sondern „auf die Palme“ zu bringen – indem er eben so „behandelt“, dass Sub immer wieder aus der Versenkung ins reine Fühlen aufgestört und genervt wird. Dazu braucht es dann ein Rahmenszenario, dass auch psychisch mehr fordernd und konfliktlastig gestaltet ist, als wenn es „nur“ ums „harmonische Fliegen“ gehen soll.

Zum Schluss will ich nicht unerwähnt lassen, dass alles eine Frage der Dosis ist! Konfliktreiche, aufwühlende, psychisch und physisch an die Grenzen führende Sessions sind für die meisten nichts für jedes Wochenende. Soft-SM, Sex-SM, Sessions mit zwinkerndem Auge und kundig ins lustvolle Genießen getriebene Flag-Szenen machen Freude und sind sehr befriedigend.

Aber manchmal, immer nur manchmal, haben Subs richtig dolle Quälereien gern…

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2 Kommentare

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