Story: Zehn Schuss – von Joerg Gum

Ich freue mich, diese sensible Story mit den leisen Tönen hier veröffentlichen zu dürfen und danke Jörg Gum für den schönen Beitrag!

* * *

Jahrmarkt, eine bunte Mischung aus knallbunten Lichtern, Geruch nach Zuckerwatte, abgerissene überall herum liegende Enden von Losen, Geschrei, Gekreisch, billige Rummelmusik. Ein billiges Vergnügen und ein Dukatengrab ersten Ranges in einem.

Mit einem zielsicheren, hintergründigen und ganz und gar nicht harmlosen Lächeln lenkt sie mich auf direktem Wege in Richtung Schießbude. „Mein Sklave, ich suche schon den ganzen Abend nach einer Bewährungsprobe für dich. Bzw. nach einer Strafe, die dich erwartet, wenn du versagst.“ Ich nicke nur stumm. Ihre sadistische Phantasie ist schier grenzenlos. Und sie versteht es meisterhaft, mich glauben zu machen, mein Schicksal liege ganz allein in meinen Händen. Obwohl sie, diese so liebenswert gefährliche Schlange, die ganze Zeit natürlich die Kontrolle über die Situation ausübt und die Fäden zieht. Der Rummelplatz scheint ihr offensichtlich auch nur ein Betätigungsfeld dazu zu sein, mir neue Erfahrungshorizonte zu vermitteln. Ich stöhne innerlich.

„Was schaust du so? Komm schon, hab keine Angst.“ Sie lächelt mich an und ihrem Lächeln bin ich seit jeher schon immer erlegen. „Wann bin ich eigentlich nicht fair zu dir gewesen? Lies mir vor, was dort auf der Tafel steht“, fordert sie mich auf. „Zehn Schuß, zehn Treffer: eine Flasche Wein“, bete ich getreu herunter. „Du hast es erfasst, Jörg. Weißt du, so einen richtig guten Rotwein würde ich gern wieder mal trinken. 3.50 Euro für zehn Schuß sind nun wirklich nur ein Witz. Du schießt einfach zehn Mal und wir haben die Flasche. Zur Belohnung lass ich dich mittrinken. Das ist doch ein Angebot, hm?“ Wieder ihr Lächeln, für das ich sie am liebsten küssen würde. Aber der Comment zwischen uns verbietet es mir. „Mein Wilhelm Tell“, sagt sie mit einem Leuchten in ihren Augen unendlich zärtlich und lieb. Diese Mischung aus Rafinesse im Hintergrund und einer ach so unschuldigen lieben Fassade ist einfach unwiderstehlich.

„Ja, Frau Geßlerin“, entgegne ich also. Und was sollte ich auch anderes dazu sagen, als dieser offensichtlich gefährlichen Situation mit einer gewissen Schlagfertigkeit zu begegnen. Ich weiß ja von vornherein, dass das Aufbäumen vergebens ist. Sie zieht die Fäden. Und so kommt es auch: „Allerdings, mein Sklave“, schließt sie mit einem Lächeln an, „wirst du natürlich bestraft werden, wenn du versagst.“ Natürlich. Und mit diesen Worten flüstert sie mir meine Strafe ins Ohr.

Ich erschauere sofort und in mir bricht Panik aus. Dies kann nicht ihr Ernst sein! Alles, nur dies nicht! Das werde ich nicht aushalten! „Das kannst du nicht mit mir machen!“ sage ich mit schreckgeweiteten Augen, „du weißt, dass ich dabei umkommen werde!“ Doch sie lacht nur, und das mit einer richtig lockeren und unschuldigen Miene: „Ach was, stell dich nicht so an. Ich habe das auch schon durch und auch du wirst es überleben, du kleiner Angsthase.“ Jetzt wird sie dazu mütterlich und zeigt noch ihren Beschützerinstinkt. Das hat mir gerade noch gefehlt. Und mit den dazu passenden Worten streichelt sie mir über die Wangen und erklärt fürsorglich: „Mutti wird auch aufpassen, dass dir nicht passiert und zuschauen. Und wenn es gar zu toll wird, wird Mama den Leuten sagen, dass sie aufhören sollen.“ Ihr Spott ist wahrhaft großartig und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen. Immerhin besteht die Aussicht, dieser Strafe ja zu entkommen.

„Was ist?“ fragt sie nun, jetzt aber mit einer deutlichen Spur Ungeduld in ihrer Stimme. „Bekomme ich nun die zehn Treffer, oder nicht?“. „Ja Herrin!“ entgegne ich mit belegter Stimme und wir bezahlen zehn Schuß.

„Da, die bewegliche Hasenreihe. Die sieht so niedlich aus. Und die ist für dich doch ganz einfach“, dirigiert sie mich. Jetzt geht es zur Sache und ihre Sprache nimmt nun einen ganz routinierten fast geschäftlich-planenden Ton an. Mir erscheint er freilich durch und durch eiskalt.

Ja, die Hasenreihe. Das sind etwa zwanzig kleine Klappbleche mit Kaninchenkontur, die sich direkt vor mir befinden. Und der schlechte Witz dabei ist, dass sich dieses Ensemble oszillatorisch in horizontaler Richtung bewegt. Hin und her also. Auf deutsh gesagt bewegliche Ziele. Nicht allzu schwer, aber natürlich alles andere als leicht. „Du, das kann nicht dein Ernst sein“, gebe ich zu bedenken, doch ich weiß, dass mein Einwurf einfach nicht zählt. „Die Hasenreihe oder du wirst sofort bestraft“, sagt sie mir diesmal nun eiskalt ins Gesicht.

Keine Widerrede heißt das nun. Also nehme ich das Gewehr und lade durch…

Im Prinzip ist die Sache einfach und vollkommen klar. Man muss wie ein Biathlet seine innere Unruhe in einem Meer an Meditation ertränken, man muss Kimme und Korn einwandfrei einjustieren und zielen. Die Karnickelbleche sind breit genug, also muss mann nicht ständig mit dem Lauf hin und her wackeln. Das fällt mir sofort auf, während ich das erste Ziel anpeile. Ich lächle etwas, wenn auch mulmig. Druckpunkt suchen, Finger langsam krümmen, ja, so ist es richtig. Und – Schuß. Treffer!

„Toll, schön“, freut sie sich neben mir und ihre Freude ist durchaus echt. Das sehe ich ihr gleich an. Zwischen uns geht es fair zu. Nie würde sie sich darüber freuen, wenn mir was daneben geht. Sie hat andere Mittel, gemein zu sein, als sich in Schadenfreude zu üben.

Nummer Zwo. Das gleiche Spiel. Der Hase daneben. Zielen, Druckpunkt, Schuß. Treffer! Nummer Drei. Der nächste in der Reihe. Das gleiche Spiel, Treffer. Nummer vier, Nummer fünf. Langsam bekomme ich Routine. Und es ist auch überhaupt nicht schwer. In mir kommt sowas wie Stolz hoch und ich wage es, ihr zu sagen, dass ich auch schon beim Bund ein ganz guter Schütze gewesen wäre.

„Ja, das glaube ich dir gern. Und gestern abend hast du übrigens auch damit angegeben“, erwidert sie maliziös. „Aber konzentriere dich lieber. Du weißt, was auf dem Spiel steht, oder?“ Ja, ich weiß es sehr genau und halte lieber meine Klappe. Hinterher werde ich triumphieren und sie wird sich etwas anderes ausdenken müssen. Wie gesagt, zwischen uns geht es fair zu.

Nummer sechs. Anlegen…

Da läuft der Schießbudenbesitzer durch meine Zielrichtung. „Tschuldigung“, mümmelt der und ich knurre in mich hinein. Ausgerechnet jetzt. Also nochmal. Zielen, visieren, Druckpunkt. Langsam den Finger krümmen… „Treffer!“

Ich grinse. Nummer sieben und Nummer acht fallen mit einem „Plink“ hintenüber und auch Nummer Neun stirbt. Nun gilt es. Ich nehme Nummer zehn ins Visier. Aus den Augenwinkel sehe ich sie, wie sie immer noch lächelt. Aber der Triumph liegt nur noch einen Schuß entfernt. Ich werde davon kommen. Das Häschen liegt nun zwar nicht mehr genau in der direkten Linie, sondern ich muss jetzt etwas schräg anlegen. Das macht die Sache etwas komplizierter, doch immerhin noch lösbar. Ich ziele und ehe ich mich versehe, rauscht die Kugel aus dem Lauf und durchbohrt irgendwo die Dekoration, fügt sich ein zu tausenden anderen fehlgeleiteten Brüdern, die dort hinten in der Wand bereits stecken.

Aus und vorbei. Und mit einem Lächeln fasst sie mich am Arm, beachtet den Schießbudenmann nicht weiter, sondern zieht mich zielstrebig mit sich weg. Sie hat was sie will und nun führt sie mich zum „Twister“, einer Höllenmaschine, einer Ausgeburt des blanken menschlichen Wahnsinns.

Und während sich der Sicherheitsbügel über mich senkt, sehe ich sie lächelnd an der Absperrung stehen, wie sie mir fröhlich zuwinkt und mir eine Gute Reise wünscht. Ich werde sie nie wieder sehen. Denn ich werde sterben durch den Willen dieser grausamen Frau.

3 Kommentare

  1. die probe als solche ist eine tolle idee, aber der schluß ist ja doch ziemlich verschenkt. warum gehts dann nicht erst richtig los? paintball wäre doch eine nette strafe und sicher auch gut zu beschreiben…

  2. Raffinierte Geschichte mit einem pointierten Schluss. Auch, wenn mir die Perspektive (des Sklaven) fremd ist: gut geschrieben; schön zu lesen. Prima! :)

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