IMMER in der Rolle oder nur während der Session?

Ich halte es für eine oberflächliche Betrachtungsweise, zu glauben, das jeweilige „Rollenfeeling“ als Dom/Dommé oder Sub sei entweder IMMER da, sei GANZ ERNST, sehr real, Lebensstil-begründend, 24 mal 7 Stunden aktiv – ODER eben nur in der Session virulent, nicht so richtig ernst, zeitlich eng begrenzt, mehr oder weniger ein „Spiel“.

Beide Alternativen sind Methoden des Verstandes, das Ausleben der irrationalen Neigungen „in den Griff zu bekommen“ – nicht aber die tatsächlich gefühlte Wirklichkeit selbst.

Ich kann mich jetzt und hier in ein submissives Gefühl gegenüber dem fernen Dom fallen lassen, davon träumen, in seiner Macht zu sein, mir ausdenken, wie ich ihm besonders gefallen, was ich ihm vielleicht jetzt schreiben oder schicken könnte. Dabei versinke ich in einem ganz spezifischen Gefühlssprektrum, bzw. ich aktualisiere es, präpariere es heraus aus dem großen Ganzen, das ich üblicherweise bin. Und wenn ER mich im Alltag dominant anspricht, springe ich durchaus darauf an: Es ist ein Flirten, eine Einladung, jetzt in DIESER Rollenkonstellation das Leben zu genießen, die ich mit Freude annehme, wenn es in meiner Möglichkeit steht.

Ebenso kann ich mich jetzt und hier an den entzückenden Sub erinnern, der so herrlich zwischen Widerstand und Gehorsam schwankt, der sich in meine Macht begibt, den ich schütze, aber auch bestrafe und zu meiner Lust benutzte. Das ist ein ganz anderes Gefühlsspektrum, das ich ebenfalls sehr genieße. Und nicht nur in der Session: Gelegentlich zeigt sich die Dommé auch im Alltag, sagt ihm, was sie sich wünscht, tadelt ihn, kündigt ihm Konsequenzen an, fordert ihn heraus – ein dominantes Flirten, auf das er einsteigen kann oder eben nicht. Tut er es nicht, bleiben wir auf gleicher Augenhöhe, manchmal ergibt sich dann ein lustvoller „Machtkampf“, weil jeder versucht, zu dominieren. Oder wir möchten uns auch mal beide fallen lassen und lieber gehorchen als befehlen – das passt dann nicht unbedingt zusammen! :-))

Ich versuche immer, die jeweilige Rolle „zu aktualisieren“, nach der mir der Sinn steht
, in der ich mich vom Gefühl her bereits schwerpunktmäßig befinde. Noch immer kann ich wochenlang glückliche Sub sein, doch dann ist auf einmal die Dommé dran: das submissive Empfinden verblasst, verschwindet dann ganz, ist einfach „aufgebraucht“ durch so viel Erleben. Ich bin dann SATT in dieser Hinsicht und bekomme Lust, zu sagen, wo es lang geht! :-) Dann schicke ich zur Not noch schnell eine Email und teile mit, dass Sub in den Urlaub gefahren ist, damit nicht falsche Erwartungen entstehen, denen ich im Moment nicht gerecht werden kann. Alles andere ergäbe bloßes „Theater“ und wäre für mich nicht ohne Verlust an Vertrauen, Lust und Ernsthaftigkeit spielbar.

All das ist nie „auf die Session begrenzt“ – genausowenig wie jegliches erotische Empfinden auf den Geschlechtsakt (inkl. Vor- und Nachspiel) begrenzt ist. Immer kann ich innehalten, in mich hinein spüren und feststellen, ob ich gerade eher submissiv, subdominant oder dominant gegenüber dem Liebsten (bzw. gegenüber JEDEM möglichen Gespielen) fühle. Nie ist da NICHTS!

Ganz unberührt von all diesen Gefühlen und Haltungen existiert daneben sehr selbstverständlich die Ebene der „gleichen Augenhöhe“ – SIE ist es, die jegliches Ausleben und Experimentieren mit Machtgefälle überhaupt erst ermöglicht. Sie ist das Gefäß, das all die Rollen umgreift und enthält, die Basis, von der aus wir auf Abenteuer ausgehen und der Hafen, in den wir heimkehren, um am Lagerfeuer unsere Erlebnisse zu berichten, zu besprechen und neue voraus zu träumen.
Ohne eine solche Meta-Ebene, die jegliche Machtkonstellation transzendiert, halte ich echte Nähe für unmöglich. Denn menschliche Nähe gründet für mich in Wahrheit und Wahrhaftigkeit (=voreinander nackt sein in aller Verletzlichkeit), nicht in Dienen und Gehorsam als oberstem Wert.

Dies ist nun nicht etwa ein „Lob des Switchens“: die wechselhaften Gefühle kommen nur vor, weil mein aktuelles BDSM-Erleben gerade so ist. Der Beitrag ist eher ein Pladoyer für die Befreiung aus den Schubladen, die „das Standardprogramm“ so anbietet: 24/7 ODER auf die Session begrenzt – das ist doch graue Theorie, fantasielose Einfalt, plumper Versuch, komplexe und vielschichtige „gefühlte Wirklichkeiten“ in ein primitives Raster zu fassen! Es mag für Einsteiger eine erste Orientierung in der anfänglichen Verwirrung bieten, doch bringt es nichts, daran zu kleben und zu haften, wenn man anders fühlt – egal in welcher Richtung.

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