Mehr als eine Beziehung ?

Aus einem Mailinglistengespräch:

Zwei Beziehungen, wenn’s denn nicht anders klappt, kann ich mir
heute gut vorstellen. Natürlich muß der Partner schon viel
Toleranz zeigen und sich der Liebe des anderen sicher sein,
denn es geht um starke Gefühle, die ich mit beiden austausche.

Ich finde Menschen wunderbar, die es vermögen, mit mehreren
Anderen starke Gefühle auszutauschen. Im Grunde glaube ich immer
noch daran, dass das zum natürlichen Potenzial ALLER Menschen
gehört.

Typischer Teil des ungebrochen herrschenden Zweierbeziehungsideals
ist es jedoch, dieses schöne und glückbringende Vermögen zu
beschneiden, zu unterdrücken und zu verleugnen. (Ein Krieg gegen die
eigene Natur mit immensen Kollateralschäden!). Liebe zu
mehreren soll und darf nicht sein.

Weil das Individuum seiner selbst niemals ganz sicher ist, wünscht
es die ausschließliche Zuwendung und Bestätigung durch einen
kontinuierlich verbundenen Anderen. Die in den Siebzigern so
treffend „Beziehungskiste“ getaufte Duade entsteht im Rausch
der Verliebtheit und funktioniert nach Abflauen der Rosa-Wolke-Phase
als Lebensbewältigungsteam: Der Partner als ein Stück Heimat
im Chaos ständiger Veränderungen und Beliebigkeiten, eine
Ressource zur psychischen Regeneration, eine Insel des
Friedens außerhalb der Kampfzone.

Und die wird zur Not mit Klauen und Zähnen verteidigt. Hier soll
sich nichts unkontrolliert verändern, also sind Einflüsse von außen
potenziell gefährlich. Der Andere, mit dem der Partner Kontakt hat,
Zeit verbringt, womöglich Erotik und starke Gefühle teilt, wird
als Rivale erlebt, der einen Besitz rauben will – und ensprechend
bekämpft, bzw. schlichtweg bei Strafe des „Verlassens“ verboten.

So ein Besitzverhältnis wird heute eingegangen, ohne dass das Paar
auch nur mal darüber gesprochen haben muss. Der gesellschaftliche
Konsens enthebt von der Notwendigkeit, einen persönlichen zu finden.
Warum auch? Family Values regieren, Cocooning ist angesagt,
Sicherheit und Gerechtigkeit sind wieder wichtiger als Freiheit,
Selbstverwirklichung gilt als Egoismus – und Verliebte mögen sowieso
nicht an „Andere“ denken…. :-)

So erwischt es die gewöhnliche Duade unvorbereitet, wenn eines
Tages bei einem der beiden das Verlangen nach Austausch starker Gefühle
auch mit Anderen als dem „gewohnten“ Partner wieder erwacht.

Anstatt dies als ganz natürlich zu empfinden und miteinander zu
teilen, wie alles andere, was man freudig zu teilen gelernt hat, spaltet
sich
die Duade nun innerlich wieder in zwei getrennte Individuen: Das Verlangen
wird als Sünde, als Vergehen wider die Beziehung verstanden und
verheimlicht – Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, unoffenes Verhalten
sind die Folge. Und das „rechnende Denken“ schleicht sich unabweisbar
ein: Was gibt er mir, das meinen Verzicht wert ist? Innerlich wird dem
„Beziehungspartner“ jetzt die Rechnung aufgemacht. Wo vorher der
gemeinsame Kosmos der Liebe keine Grenzen kannte, gibt es nun
wieder zwei Welten, zwei Interessensphären, als deren Verhandler und
erste Staatsmänner und Frauen wir ab jetzt den Partner kritisch beäugen –
und oft führt der Weg, der so beginnt, mitten hinein ins Beziehungsdrama
oder ins gemütliche Elend resignierter Selbstverleugnung.

Ich hab mich dafür entschieden, den Kontakt zu meinem Dom stark
einzuschränken und meinem Freund treu zu bleiben.

Die Vergewaltigung des schönen Wortes „Treue“ im Dienste der
modernen Leibeigenschaft, wie sie von den meisten Paaren praktiziert
wird, hat mich schon immer geärgert. Leider ist es nutzlos, dagegen
anzuschreiben, die Übermacht des Mainstreams ist zu groß.
Und doch bleibt für mich immer wahr: ob ich „in Treue fest“ zu meinem
Liebsten stehe, wird nicht dadurch bestimmt, ob ich auch mit Anderen
starke Gefühle austausche oder nicht. Sondern einzig durch die Art
und Weise, wie ich ZU IHM stehe und er zu mir.
Das gilt für jeden, der mir nahe steht, gleichermaßen.

Hat sich nicht bezahlt gemacht.

Das wundert mich nicht! :-)

1 Kommentar

  1. So ist es und es ist schön, das hier zu lesen, zumal ich gerade ein Buch über Menschen schreibe, die alternative Beziehungsfomen, sprich ein Mehr an Öffnung wagen… Leben, was wahr ist. Jetzt und für jeden von beiden.
    Treue heißt zu sich selbst und zum anderen halten. Nicht mehr und nicht weniger, auch wenn das auf den ersten Blick anstrengender zu sein scheint als die Monotonie einer Zweierkiste auszuhalten.

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